Montag, 15. Juli 2013

Überlebensgarant Nr. 1 - das Brötchen!

Wenn man sich von Montag bis einschl. Samstag morgens zwischen 7 und 9 Uhr zwecks Erwerbs eines Kaltgetränks für den Tag oder auch gesundheitsschädigender und zu allem Überfluss auch noch impotent machender, dafür aber preisgünstiger Genussmittel namens Filterzigarillos - der gesundheitsbewusste Raucher trinkt zudem ausschließlich Filterkaffee - in eine dieser Discounterklitschen wagt, trifft man dort allmorgendlich auf eine recht stattliche Ansammlung besonderer bundesdeutscher Mitmenschen - die BrötchenholerInnen. Tagtäglich zur Geschäftsöffnung Punkt sieben oder acht Uhr steht diese Gattung dichtgedrängt vor den durch Plastikglas geschützten Fächern, in denen die hierin kühl gelagerten, unterschiedlich bekörnten (oder auch nicht) sowie frühmorgens von einer Marktangestellten aus irgendeiner Fertigmasse mittels eines praktischerweise gleich danebenstehenden entsprechenden Apparats aufgebackenen, kleinen und dabei mal mehr, mal weniger runden Brötchen/Rundstücke/Semmeln/Schrippen/Wecken/Bemmen der hungrigen Mäuler harren, durch die sie später in den menschlichen Verdauungsapparat befördert werden sollen.

Die Glücklichen, die bereits Zugriff auf die Brötchenfächer haben, stochern munter mit den extra dafür vorgesehenen Greifzangen in den Fächern ihrer Wahl herum, bis die gewünschte Anzahl der Objekte ihrer Begierde durch die meist eckigen Öffnungen am vorderen Brötchenfachbereich geplumpst ist und eingetütet werden kann. In anders konzipierten solcherartigen Anlagen kann der Brötchenholer auch mit einem Schiebeutensil in besagten Fächern rumstokeln, bis so ein endlich erwischtes Brötchen durch eine Art Mini-Falltür gesaust ist und ebenfalls aus vorerwähnter Öffnung in die Tüte befördert werden kann.
Ungeduldigere Zeitgenossen gehen auch mit bloßer Hand durch die Öffnungen und wühlen munter zwischen den Rundlingen herum, bis sie sich die gewünschte Anzahl als ausreichend groß/hell//mittel/dunkel genug erachteter Exemplare zusammengegrapscht haben. Bleibt hierbei zu hoffen, dass diese Brötchengrapscher sich zuvor daheim ausreichend die Hände gewaschen haben. Oder das sie sich kurz vorher draußen nicht an irgendwelchen "Igittigitt"-Körperbereichen gekratzt haben.
Mich erinnern diese "Grabbelkästen" jedenfalls immer an diese gläsernen Rummelplatz-Automaten, in denen Münzen hin- und hergeschoben werden.
Wie auch immer, nach jedem Plumpser, Sauser oder Grapscher wird das auserwählte Stück sofort in die eigens zu diesem Zweck parat liegende, meist bräunlich oder weißlich getönte Papiertüte mit aufgedrucktem Logo des betreffenden Einkaufsmarktes befördert. Der ordnungsliebende Deutsch-Mensch achtet hierbei selbstverständlich auf eine strikte Tütentrennung bei den einzelnen Brötchensorten.

Wenn man sich nun an solch einem Brötchenholer-Auflauf vorbeigequetscht hat, um sich mit seinem Kaltgetränk zwecks Bezahlung in Richtung Kasse zu begeben und/oder um dort die hier erhältlichen Dampfmacher zu erwerben, so trifft man im Kassenbereich erneut auf eine gesammelte, jedoch bereits fertig betütete Brötchenholerschaft. Der durchschnittliche Brötchenholer steht mit ca. Minimum 2 bis zu ungefähr 4 - 5, dafür bis oben an den Rand gefüllter Papiertüten vor uns an der Kasse. Sollte er in einer Doppelfunktion sowohl als Brötchenholer als auch als Brötchenmitbringer unterwegs sein, dann legt so ein Brötchenfreund im Schnitt zwischen 5 bis 8 solcher Tüten auf das Laufband. Wenn man Pech hat und dazu auch noch wenig Zeit, dann stehen meist immer 4 - 6 gleich in doppelter Mission agierender Brötchendeutsche vor einem. Glücklicherweise sind in den Tüten ausreichend große Sichtfenster mit eingebaut, sodass die Kassenkraft den Inhalt jeder einzelnen Tüte nicht "per Handbetrieb" nachzählen muss.
Kleiner Tipp am Rande: An Samstagen sind generell mehr Brötchenmitbringer auf Tour als an gewöhnlichen Werktagen!

Wenn man sich nun vor Augen hält, dass es während dieses angesprochenen morgendlichen Zeitraums ja nicht nur bei den Discountern, sondern auch in den Filialen der inzwischen weitverbreiteten Großbäckereien, an den Tankstellen sowie bei den - in den kleineren Ortschaften allerdings nur noch recht wenig betriebenen - "richtigen" Bäckereien nicht viel anders aussieht, dann kann man in etwa erahnen, wie gigantisch die Zahl der Brötchenholer allmorgendlich sein muss.
Da, wo der Brötchenholer nicht selbst Hand anlegen kann oder darf und eine - meist gering entlohnte - Verkaufskraft zur Erfüllung seiner Wünsche bereit steht, kann man übrigens auch den einen oder anderen Rumpuper gleich mit beobachten. Denn nicht selten ist die eine, ganz bestimmte Brötchensorte, die ausgerechnet heute sooo dringend benötigt wird, entweder gar nicht im Sortiment enthalten oder gerade eben zum aufbacken in den Ofen geschoben worden, sodass sie erst in ca. 20 Minuten wieder verfügbar sein wird. In diesen Fällen wird die arme Verkaufskraft dann entsprechend angepupt. Das verhält sich bei den diversen Brotsorten aber auch nicht anders.

An Sonn- und Feiertagen weichen unsere Brötchenholer wegen der an diesen Tagen geschlossenen Groß- und Discounterbäckereien geschlossen auf Tankstellen mit angeschlossener Aufbackerei aus.
Bei Wind und Wetter, ob´s stürmt oder schneit - der überzeugte Brötchenholer lässt sich von nichts abschrecken; und sonn- und feiertags schon mal gar nicht. Da wird selbst bei extremsten Witterungs- und Straßenverhältnissen auf Teufel komm raus mit dem fahrbaren Untersatz zur Brötchen-Tankstelle geschlichen, gerutscht und geschlittert. Sonn- oder Feiertag ohne Sonn- oder Feiertagsbrötchen? Niemals!Wo gibt´s denn sowas?

Als Mitarbeiter einer Tankstelle mit Backwarenverkauf bekommt man es häufig mit noch spezielleren Brötchenholern zu tun. Eine halbe Stunde, nachdem man um 4 Uhr früh die erste Rutsche Brötchenbleche in den Ofen geschoben hat, vernimmt man von der gläsernen Eingangstür her laute Klopfgeräusche (somit eineinhalb Stunden vor der, an der Tür übrigens deutlich lesbaren, offiziellen Aufnahme des Geschäftsbetriebs um 6 Uhr früh). Man entsperrt daraufhin die Schließautomatik der Tür, um nachzusehen, wo diese hektischen Klopfzeichen herrühren. Sobald man den Kopf auch nur einen cm rausgestreckt hat, schallt einem umgehend ein lautes "Sind schon Brötchen fertig?" entgegen. Das natürlich ohne "Guten Morgen" vorweg. Es ist zwar stockdunkel, das Licht draußen im Bereich der Zapfsäulen ist noch ausgeschaltet und auch drinnen im "Geschäftslokal" leuchtet nur die spärliche Nachtbeleuchtung. Das hindert so einen Brötchen-Extremisten aber absolut nicht, den Hase Klopfer zu geben und energisch nach Brötchen zu rufen.
Bis 6 Uhr laufen zwischendurch immer wieder noch weitere solcher Brötchenhektiker auf. Und bei der Gelegenheit nehmen sie alle auch gleich noch ein Exemplar der Zeitung mit den 4 großen Buchstaben mit, auch wenn (oder gerade weil) die noch in ungeöffneten Packen verschnürt und eingewickelt vor dem Zeitungsregal liegen. Hierbei dürfte vor allem eine entsprechende Mundpropaganda eine Rolle spielen: "Da kannste ruhig schon um halb fünfe hingeh´n. Die haben dann schon die ersten Brötchen fertig und ´ne B...Zeitung kriegste dann auch schon.". Nun könnte der Tankstellenangestellte ja darauf hinweisen, dass erst um 6 Uhr geöffnet wird. Aber irgendwann hat auch der hartgesottenste "Tankler" von dem Rumgepupe, das ein derartiger Hinweis unweigerlich nach sich zieht, die Nase gestrichen voll und knickt dann zwangsläufig aus Selbstschutzgründen ein.

Stressig wird´s für einen Tankstellenmitarbeiter ab dem späten Samstagnachmittag sowie während des weiteren Verlaufs des Abends bzw. einem Spätnachmittag vor Feiertagen. Alle naselang klingelt das Telefon und es werden Brötchen-Bestellungen für den kommenden Morgen auf- und durchgegeben. "Ich würde dann für morgen früh um 7.30 Uhr 5 `normale´, 4 Mohn, 3 Mehrkorn und 5 Sesam bestellen. Bei den `normalen´ bitte 3 schön braun, eins mittel und eins etwas heller!". Natürlich erscheint der telefonische Besteller am nächsten Morgen in der Regel nicht, wie verabredet, um 7.30 Uhr, sondern bereits zwischen 7 und 7.15 Uhr. Und wenn die Dinger dann noch nicht fertig sind wird - na was wohl? - erst mal rumgepupt. Oder es klingelt erneut das Telefon und eine in höchster Erregung befindliche Stimme bemängelt, dass statt aller 3 aber nur 2 "normale" schön braun seien...oder das mittlere nicht mittel genug...oder das helle zu dunkel. Oder zu hell. Es kann aber auch vorkommen, dass so ein brötchengeiler Beschwerdeführer noch einmal persönlich vorspricht und dem "Tankler" die kritikwürdigen Brötchen zwecks sichtbarer Beweisführung direkt vor oder unter die Nase hält.

Und so drängt sich zwangsläufig die Frage auf: Wie konnte die deutsche Menschheit früher, als Brötchen ausschließlich beim lokalen Bäcker und das auch nur von Montag bis Samstag erhältlich waren (auch der Bäcker hatte nämlich am Sonntag und an den Feiertagen zu), eigentlich überleben? Discounter waren damals in der Fläche recht rar gesät und wenn, dann waren sie zumeist am Rande der ganz großen Großstädte angesiedelt. Regionale Großbäckereien mit zig Filialen gab es ebenfalls nicht und an der Tankstelle konnte man außer Kraftstoff, Schmiermitteln und Kfz-Zubehör wie Eiskratzer, Warndreieck, Verbandskasten, destilliertes Wasser usw. ebenfalls nichts anderes weiter erwerben - wenn, dann höchstens noch Zigaretten und eine Tageszeitung.
In jener Zeit gab es bei unsereins unter der Woche sowieso keine Brötchen zum Frühstück. Samstags, gut, da wurden auch mal Brötchen auf den Frühstücksteller gelegt, aber auch nicht unbedingt an jedem. Ansonsten gab´s Graubrotscheiben, auf welche dann Marmelade, Wurst/Aufschnitt oder Käse geschmiert oder gelegt wurden. Und da bekanntlich nicht erhältlich gab´s eben auch sonn- und feiertags keine Brötchen, sondern ggf. mal eine "süße Semmel", in anderen Gegenden auch als "Stuten" bekannt.

Wenn ich mir diese fanatischen Brötchenholer jeden Tag so anschaue, dann habe ich irgendwie den Eindruck, dass für den Deutsch-Menschen das Brötchen inzwischen den Garanten fürs Überleben überhaupt darstellt. Dabei steht es in der Wertigkeit bestimmt mindestens auf einer Stufe mit der TV-Fernbedienung, dem Mobiltelefon und anderem Technik-Spielzeug für junge und junggebliebene Deutsch-Menschen (oder die, die sich dafür halten). Da drängt sich automatisch eine weitere Frage auf: Was, wenn es aus irgendwelchen Gründen (Wirtschaft total zusammengebrochen, globale Katastrophen/Epidemien etc.) auf einmal keine Brötchen mehr zu kaufen geben sollte - weder wochen- noch sonn- noch feiertags? Müssen die Deutsch-Menschen dann vielleicht sogar aussterben?

Huch, jetzt hätte ich mich beinahe verplaudert. Ich muss nämlich mal eben dringend weg - ganz schnell noch´n paar Brötchen holen...

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