Montag, 12. August 2013

Ein bisschen Science-Fiction...

Zentrale Ermittlungsstelle zur Erfassung und Aufklärung von sozialem Unrecht und von Verstößen sowie Verbrechen gegen die Menschlichkeit
 
Protokoll über die Anhörung des Herrn Knut Radler, ehemals Fallmanager im Jobcenter Hoch-Heimingen, aufgezeichnet am 12.08.2023
 
 
Anwesende:  
                     Sozialhauptkommissar Kuhlmann (Befrager)
                                            Sozialoberkommissar Wilke (Befrager und Protokollführer)
       Polizeiobermeister Kruse (Aufsicht)
     Herr Knut Radler (zu Befragender)
 
Beginn der Befragung: 10:05 Uhr
 
SHK Kuhlmann:
Herr Radler, Sie waren vom 01.05.2006 bis zur Auflösung der Bundesagentur für Arbeit sowie sämtlicher ihr unterstehenden Stellen kurz nach der politisch-gesellschaftlichen Wende im Frühjahr diesen Jahres im Jobcenter Hoch-Heimingen als bis dahin als solcher bezeichneter Fallmanager tätig. Wie Ihnen zuvor bereits schriftlich als auch mündlich erläutert wurde, werden Ihnen folgende, im Rahmen der Ausübung dieser Tätigkeit begangene Straftaten zur Last gelegt: Nötigung, Willkür im Amt, Missachtung elementarer Grundrechte der Ihnen anvertrauten Menschen sowie fahrlässige Tötung. Bitte nehmen Sie zu diesen Vorwürfen Stellung.
 
Herr Radler:
Ehrlich gesagt, Herr Kommissar, ich weiß eigentlich gar nicht, was ich hier überhaupt soll. Ich habe mich in den gesamten knapp 17 Jahren im Jobcenter Hoch-Heimingen bei all meinen Entscheidungen, die ich als Fallmanager zu treffen hatte, strikt an die seinerzeit für meinen Aufgabenbereich geltenden Gesetze und sonstigen Rechtsvorschriften gehalten. Wie man daraus nun diese hanebüchenen Vorwürfe ableiten kann, das ist mir nun wirklich vollkommen schleierhaft.
 
SHK Kuhlmann:
Also bitte, Herr Radler, gerade Sie in Ihrer Funktion hätten wohl wissen können, ja wissen müssen, dass auch in jener Zeit alle Gesetze und weiteren Rechtsvorschriften in keinem einzigen Punkt gegen die im Grundgesetz eindeutig aufgeführten Grundrechte verstoßen durften. Und das zumindest weite Teile gerade des SGB II klare Verstöße gegen diese Grundrechte beinhalteten, das dürfte wohl mittlerweile unbestritten sein.
 
Herr Radler:
Herr Kommissar, ich bitte Sie. Meinen Sie ernsthaft, mir und meinen damaligen Kollegen und Kolleginnen hätte es zugestanden, das SGB II samt Inhalten auf seine Verfassungsmäßigkeit zu prüfen? Uns kleinen Lichtern innerhalb der BA stand sowas schon mal allein aufgrund unserer fehlenden juristischen Ausbildung ja wohl überhaupt nicht zu (lacht). Und wo kämen wir denn hin, wenn jeder Mitarbeiter die seiner Tätigkeit zugrunde liegenden gesetzlichen Bestimmungen vor jeder Entscheidung erst noch ausführlich auf seine Kompatibilität mit dem Grundgesetz abklopfen würde (schüttelt mit dem Kopf)?
 
SOK Wilke:
Nun, es gab auch damals schon hinreichend Möglichkeiten, sich auch außerhalb des eigenen Dienstzimmers entsprechend ausführlich zu informieren, wenn man denn wollte natürlich nur. Das Wort "Internet" ist Ihnen aber schon ein Begriff, oder?
 
Herr Radler (belustigt):
Ja glauben Sie denn, ich hätte nach Feierabend nichts Besseres zu tun gehabt, als mir irgendwo im Internet irgendwelche schwammigen Abhandlungen über die Verfassungsmäßigkeit des SGB II rauszuklamüsern? Abends war ich einfach immer nur platt, und außerdem hat man ja auch noch ein Familienleben, nicht wahr? Und ob das SGB II nun in Teilen Grundrechte beschnitten oder verletzt hat oder nicht, darüber hatten nun mal andere die Deutungshoheit und nicht ich oder meine Kollegen. Und nun kommen Sie endlich mal zum Punkt. Was genau soll Ihre Vorwürfe gegen mich überhaupt rechtfertigen?
 
SHK Kuhlmann:
Tja, Herr Radler, aufgrund der uns zahlreich vorliegenden, von Ihnen verfassten, unterschriebenen und an Ihre, damals so genannten, Kunden verschickten dienstlichen Schreiben sowie den Aussagen von uns bereits befragter ehemaliger Kunden von Ihnen sahen wir uns eindeutig dazu veranlasst, die Ermittlungen hinsichtlich der erwähnten Vorwürfe gegen Sie einzuleiten.
 
Herr Radler:
Das ist ja wohl alles nur ein schlechter Scherz, oder?
 
SOK Wilke:
Nein, Herr Radler, lustig ist das alles garantiert nicht. Dann wollen wir jetzt einfach mal konkret werden: Schon das erzwingen einer Unterschrift unter die Eingliederungsvereinbarung mittels Androhung von Sanktionen stellte damals und stellt auch heute bereits eine Grundrechtsverletzung dar, nämlich der Vertragsfreiheit.
 
Herr Radler:
Das sind doch juristische Haarspaltereien.
 
SOK Wilke:
Das mögen vielleicht Sie so sehen und wohl auch manche Ihrer ehemaligen Kollegen und Kolleginnen, Ihre ehemaligen Kunden hingegen wohl eher nicht. Dann hätten wir da noch das ebenfalls durch Sanktionsandrohung erzwungene Hineinpressen ihrer Kunden in Leih- und Zeitarbeit und andere nur geringfügig entlohnte Beschäftigungsverhältnisse. Mal abgesehen davon, dass beides eindeutig den Tatbestand der Nötigung in vielen hundert Fällen über die Jahre hinweg erfüllt, wurde durch dieses Hineinpressen außerdem noch das Grundrecht auf freie Berufs- und Arbeitsplatzwahl verletzt.
 
Herr Radler:
Na Sie sind ja lustig. Was hätte ich denn sonst machen sollen? Es gab doch außer diesen keine regulären Stellen mehr weit und breit! Und was meinen Sie wohl, was für einem Druck von oben jeder einzelne von uns ausgesetzt war? Die oben, die wollten immer nur positive Zahlen von uns geliefert bekommen, die sie dann an die hohen Herrschaften im Ministerium weiterleiten konnten. Da bist du als kleiner Fallmanager froh über jeden Kunden, den du irgendwo parken kannst. Da ist es einem letztlich völlig egal, wie, wo und für wie lange! Glauben Sie, ich hätte Lust gehabt, mich auf einmal auf der anderen Seite vom Tisch wiederzufinden? Das hätte nämlich auch für mich ruckzuck gehen können, wenn ich nicht regelmäßig die gewünschten Zahlen geliefert hätte.
 
SHK Kuhlmann:
Im verhängen von Sanktionen gegen Ihre Kunden waren Sie ebenfalls recht aktiv, wie man so lesen und hören konnte.
 
Herr Radler:
Das musste nun mal sein. Sie glauben ja gar nicht, mit was für Vögeln man es da manchmal so zu tun bekam. Einige musste man dann eben entsprechend disziplinieren und sich die sozusagen erziehen. Ganz schlimm waren übrigens immer diese Oberschlauen mit höherer Schulbildung und nach Möglichkeit noch irgendwelchen Diplomen in der Tasche. Mal ehrlich, selbst wenn die vorher schon 30 Jahre oder länger irgendwo beschäftigt waren, richtig gearbeitet haben die doch im Grunde genommen auch noch nie so wirklich, oder? Diese Klugscheißer hatten meine Kollegen und ich jedenfalls ganz besonders gefressen. Denen haben wir aber ganz schnell klar gemacht, wer jetzt das Sagen hat und ans richtige arbeiten gebracht haben wir die auch. Da hatten wir ja durchaus so unsere betriebsinternen Mittel und Wege für (zwinkert SHK Kuhlmann mit einem Auge zu).

SOK Wilke:
Mehreren hundert Kunden von Ihnen haben Sie während Ihrer 17-jährigen Tätigkeit im Jobcenter Hoch-Heimingen im Rahmen von Sanktionsmaßnahmen die Leistungen gekürzt. In 45 Fällen wurde es sogar für 3 Monate auf Null gekürzt. Gemäß Grundgesetz jedoch stand und steht noch immer ausnahmslos jedem Menschen hierzulande, auch im Hinblick auf den Bezug staatlicher Transferleistungen, ein gleichzeitig die Menschenwürde als auch das Existenzminimum gewährleistendes Einkommen zu. Durch eine Leistungskürzung wird dieses menschenwürdige Existenzminimum allerdings zum Teil deutlich unterschritten bzw. bei Kürzung auf Null überhaupt nicht mehr gewährleistet. Also auch hier ein klarer Grundrechtsverstoß.

Herr Radler:
Ich sagte ja bereits, dass sich über solche Dinge andere einen Kopf hätten machen müssen. Es gab hierzu aber zu keiner Zeit eindeutige Urteile des Bundesverfassungsgerichts, soweit mir das bekannt ist. Und es kann doch selbst heute allen Ernstes niemand von uns kleinen Fallmanagern erwarten, dass ausgerechnet wir bei all dem Druck von oben und dem enormen Arbeitspensum so quasi nebenbei noch Verfassungswächter gespielt hätten.

SHK Kuhlmann:
12 Ihrer Kunden haben nach so einer von ihnen verfügten Auf-Null-Sanktionierung Ihre Wohnungen wegen infolgedessen vom Jobcenter nicht mehr gezahlter Mieten durch Zwangsräumung verlassen müssen. 3 davon sind dauerhaft obdachlos geworden und in den darauffolgenden Wintern erfroren. Acht weitere Sanktionierte haben jeweils wenige Tage nach Erhalt Ihres Schreibens Suizid verübt. Da wären wir dann bei dem Vorwurf der fahrlässigen Tötung in 11 Fällen.

Herr Radler (heftig erregt):
Also das ist ja jetzt ein ganz starkes Stück! Wie hier nach der politischen Frühjahrswende mit Leuten, die einfach nur ihre Arbeit gemacht haben, umgegangen wird, das ist schon allerhand! Ich wiederhole es gern noch mal: Ich habe mich bei all meinen Entscheidungen stets an die für meinen Bereich gültigen Gesetze und Vorschriften gehalten! Jede von mir verhängte Sanktion und auch alles andere entsprach vollkommen dem jeweils gültigen Recht. Und es gehörte nicht zu meinen Aufgaben, da irgendwas eigenmächtig rein oder raus zu interpretieren.

SOK Wilke:
Ihnen ist auch in einer stillen Stunde nicht einmal der Gedanke gekommen, dass diese 11 Todesfälle in direktem Zusammenhang mit den von verhängten Sanktionen stehen könnten?

Herr Radler (empört):
Sagen Sie mal, spinnen Sie jetzt komplett? Nochmal: Ich habe mich auch bei den Sanktionen ausschließlich an bestehendes Recht gehalten! Und noch was: Stehen Sie mal unter so einem enormen Dauerdruck, nach oben hin immer wieder die dort erwartet guten Zahlen liefern zu müssen!
Das diese Typen wegen meiner Sanktionen damals erfroren sind oder sich deswegen um die Ecke gebracht haben, das ist jedenfalls vollkommen ausgeschlossen! Das ist doch wohl offensichtlich, oder etwa nicht?(schaut dabei abwechselnd zu SHK Kuhlmann und SOK Wilke)
Und ich kann schon mal gar nicht in die Köpfe anderer Menschen sehen! Ich konnte darum selbst beim besten Willen nicht wissen, ob mir da nun einer gegenüber sitzt, der auch mal eine ein bisschen härtere Gangart vertragen kann, oder so ein kleines Sensibelchen, das noch zusätzlich vielleicht nicht mehr alle Latten am Zaun hat. Außerdem hätten die sich ja vorher überlegen können, wie sie sich mir gegenüber zu verhalten haben, dann wären sie auch nicht sanktioniert worden.
Glauben Sie etwa, mir hätte das sanktionieren eine innere Freude bereitet oder mir vielleicht gar Lustgefühle beschert? Nein, Nein, meine Herren, ich habe nichts weiter getan als das, wofür ich vom Jobcenter eingestellt und wofür ich dann letztlich auch bezahlt wurde. Und das stets innerhalb der geltenden Rechtsnormen. Ich habe mir jedenfalls absolut nichts vorzuwerfen! Und ein schlechtes Gewissen lasse ich mir von Ihnen schon gar nicht einreden!

SHK Kuhlmann:
Herr Radler, hier will Ihnen niemand was einreden. Wir halten uns lediglich an die Faktenlage und zwar so, wie sie sich anhand des Beweismaterials derzeit für uns darstellt.
Gab es denn eigentlich eine schriftliche Anweisung zur verstärkten Verhängung von Sanktionen?

Herr Radler (wieder ruhiger):
Nein, die gab es selbstverständlich nicht. Aber in den Teambesprechungen wurde uns von den Teamleitern immer wieder eingebläut, dass wir verantwortlich mit dem Geld der Steuerzahler umzugehen und folglich absolut jede Einsparmöglichkeit konsequent zu nutzen hätten. Tja, und wo war für uns das größte und am einfachsten zu verwirklichende Einsparpotential zu finden? Bei den Kunden nun mal! In diesen Besprechungen wurde uns jedenfalls mitgeteilt, wir könnten gemäß mündlicher Vorgabe von oben bei der Suche nach Einsparmöglichkeiten bei den Kunden gern auch etwas flexibler und pfiffiger vorgehen. Wir würden aber bestimmt schon verstehen, wie das gemeint sei. Wie sagte unser Teamleiter mal so schön? "Merkt Euch eines: Wer immer eifrig einspart, der darf bleiben und nur der oder die kommt hier auch in Zukunft beruflich weiter voran.".

SOK Wilke:
Es gab vor einigen Jahren ja durchaus auch mal die eine oder andere kritische Stimme aus Ihren eigenen Reihen bezüglich der Verfassungswidrigkeit bestimmter Teile des SGB II sowie dem allgemeinen Umgang etlicher Fallmanager mit den Kunden. Haben Sie damals davon denn nichts mit bekommen?

Herr Radler:
Ach, Sie meinen das da vor ungefähr 10 Jahren. Diese Hahnemann oder wie die noch mal hieß.

SOK Wilke:
Frau Hannemann, ja.

Herr Radler:
Ach die. Naja, die hat einfach nicht kapieren wollen, dass sie nun mal in erster Linie ihrem Arbeitgeber verpflichtet ist und eben nicht ihren Kunden. Die haben sie ja dann auch, ich glaube 2015 war das, für unzurechnungsfähig erklärt, weil sie ums verrecken keine Ruhe geben wollte, und in der Folge als gemeingefährlich in der `Geschlossenen´ weggesperrt. Aber nach der Wende im Frühjahr wurde sie wohl wieder umgehend auf freien Fuß gesetzt, wie ich gelesen habe. Tja, das kommt davon, wenn man meint, man müsse sich als Beschützerin der angeblich Entrechteten aufspielen und den falschen Leuten ans Bein pinkelt. Selbst schuld.

SHK Kuhlmann:
Sie haben sich also damals nicht mit Frau Hannemann und ihrem Anliegen solidarisch gefühlt?

Herr Radler:
Gott bewahre, nein! Ich war doch nicht bescheuert! Es war doch jedem von uns klar, dass diese Geschichte für die Hannemann kein gutes Ende nehmen würde. Wenn ich mich recht erinnere gab es für sie ja auch kaum Verständnis oder Unterstützung innerhalb des Kollegenkreises. Aber das ist doch auch völlig normal so. Wer will denn schon als Außenseiter da rumlaufen und von den Kollegen gemieden oder gar gemobbt werden?
Klar gab´s auch mal den einen oder anderen, der zwischendurch mal während der Kaffeepause Gedanken äußerte wie "Ist das alles wirklich so ganz richtig, was wir hier machen?". Aber das hat sich dann immer schnell wieder von alleine gelegt bei denen.
Außerdem war die große Mehrheit der Bevölkerung, also die öffentliche Meinung sag´ ich mal jetzt, bis vor ein paar Monaten ja voll und ganz für die Sanktionspraxis. Vielen davon waren wir sogar noch viel zu lasch, ja viel zu human. Sollten wir uns also damals außer gegen unseren Arbeitgeber auch noch gegen die Masse der Bevölkerung stellen? So dämlich kann ja wohl niemand sein, oder? Das eigene Hemd ist einem nun mal näher als der fremde Rock oder wie das heißt.

SHK Kuhlmann:
Herr Radler, wir wären dann jetzt am Ende unserer Befragung angelangt. Ich erkläre Ihnen hiermit Ihre vorläufige Festnahme wegen des dringenden Tatverdachts von mehrhundertfachen Grundrechtsverletzungen und Nötigungen sowie fahrlässiger Tötung in 11 Fällen. Herr Kruse, führen Sie Herrn Radler bitte in seine Zelle.

Herr Radler (springt auf, schreit):
Was? Das ist doch die reinste Willkür hier! Ich habe doch nichts Unrechtes getan!

SOK Wilke:
Das wird dann zu gegebener Zeit das für Ihren Fall zuständige Gericht entscheiden.

Herr Radler (wütend):
Gericht? Was heißt her Gericht? Ihr alle hier gehört vors Gericht, aber doch nicht unbescholtene Bürger!

POM Kruse (schiebt Herrn Radler Richtung Tür):
Herr Radler, machen Sie kein Theater und kommen Sie jetzt bitte mit.

Herr Radler (von der Tür her rufend):
Ich habe als anständiger und ehrlicher deutscher Staatsbürger doch nur meine Pflicht getan! Ist das neuerdings jetzt strafbar bei uns oder was?
(vom Flur herüberschallend): Das ist ein Skandal! Ich bin hier das Opfer und nicht der Täter! Wo sind wir hier eigentlich? In Deutschland? Oder in Hinter...(Rest nicht mehr zu verstehen).

Ende der Befragung: 11:12 Uhr

F.d.R.d.A.
gez.: Wilke, SOK

 


Sonntag, 11. August 2013

Die beliebten zwei Worte: "Mir egal!"

Man nehme versuchsweise mal ein Mikrofon in die eine und einen Kameramann an die andere Hand, lustwandle mit beiden durch die belebte Einkaufsmeile irgendwo in einer größeren deutschen Innenstadt, greife sich zwischendurch immer wieder mal jemanden aus der dahineilenden Menge und stelle ihr, ihm oder gleich beiden diese Frage: "Was halten Sie davon, wenn die Geschäfte zukünftig 24 Stunden, auch an Sonn- und Feiertagen, öffnen dürften?". Die mit deutlichem Abstand meisten Antwortmöglichkeiten hierauf reichen alters- als auch geschlechterübergreifend von "Wäre echt toll!" bis zu "Das fände ich suuuuper!".
Stellt man dann eine weitere Frage im Sinne von "Und was ist mit dem Verkaufspersonal? Das hätte dann ja noch weniger Zeit für ihr Familienleben als jetzt schon." schallt einem in der Regel ein "Mir egal" zurück. Nicht ganz so mundfaule Befragte stellen gelegentlich noch ein "Is´" vor das "mir". Regelrecht wortgewaltige Exemplare bringen sogar ein zusammenhängendes "Das ist mir, ehrlich gesagt, egal" zustande!
Manche fühlen sich auch bewogen, eine kurze Begründung nachzuschieben. Die hört sich dann so an: "Für mich ist eben wichtig, dass ich dann einfach immer shoppen gehen kann, wenn ich Lust dazu habe. Wäre doch Spitze, wenn man nach dem Discobesuch sonntagfrüh gleich in die Kaufhäuser gehen könnte.".
Gern genommen als weiterführende Erläuterung wird zudem "Die arbeiten doch alle freiwillig da, die zwingt doch keiner. Wenn´s denen nicht gefällt, dann können die ja kündigen.".

Hier haben wir ein schönes Beispiel für eine weitere Grundhaltung des Deutsch-Menschen gefunden: Alles für andere Unangenehme, von dem er selbst allerdings nicht unmittelbar betroffen ist bzw. von dem er meint, es beträfe ihn jetzt und auch in Zukunft nicht, sowie die von diesen Unannehmlichkeiten direkt berührten Menschen sind ihm einfach schnurz. Nicht ganz so mundfaule Schreiberlinge würden hinter "schnurz" übrigens noch ein "piepegal" anfügen.

Andere Angelegenheiten wiederum, die sich auf das Alltagsleben des Deutsch-Menschen ebenfalls nicht direkt auswirken, sind ihm seltsamerweise nicht egal. Bei den männlichen Vertretern wäre das z.B. die Fußball-Bundesliga. Oder mehr oder weniger im Kreis umher fahrende professionelle Automobilpiloten, speziell diejenigen deutscher Nation.
Bei den weiblichen Vertreterinnen hingegen wären das beispielsweise bevorzugt irgendwelche Royal Babies, Royal Weddings oder was eine gewisse Daniela Hundetaler wieder so anstellt. Für letzteres soll sich aber durchaus auch der eine oder andere maskuline Deutsch-Mensch interessieren.
Zum Ausgleich dafür ist der weibliche Deutsch-Mensch dann bei internationalen fußballerischen Großereignissen für 2 bis 4 Wochen fußballbegeistert. Das eben aber nur solange, wie die deutsche Elf im Turnier vertreten ist, versteht sich.

Was die Lebensumstände anderer Menschen angeht, so begegnet der Deutsch-Mensch auch diesen in der Regel mit einer gewissen Gleichgültigkeit. Wer wo unter welchen Bedingungen z.B. die von ihm als überzeugten Nicht-Nudisten benötigten Textilien fertigt, das geht ihm nun mal ebenfalls am Allerwertesten vorbei. Billig muss nun mal auch hier sein, egal welchen Preis die - oftmals sogar kindlichen - TextilienfertigerInnen dafür zahlen müssen.
Im Grunde genommen sind dem Deutsch-Menschen die Lebensverhältnisse derer, die außerhalb des Mittelpunkts seiner eigenen kleinen Welt leben, sowieso schnuppe. Er hat nun wahrlich nichts dagegen, dass die "High Society" in Saus und Braus lebt, auch wenn sie ihren Sause- und Brause-Lebensstandard nicht zuletzt auch ihm verdankt. Woher die letztlich ihre Kohle haben, auf welchen geraden oder krummen Touren das Vermögen zustande gekommen ist und wofür es verprasst wird, das juckt ihn halt nicht sonderlich.

Anders verhält es sich jedoch mit den zumeist unfreiwilligen BezieherInnen staatlicher Transferleistungen. Da ist es dem aufrechten Deutsch-Menschen ausnahmsweise nicht egal, wofür diese Bevölkerungsgruppe die paar Kröten verwendet, die ihr gerade so noch zugestanden wird. Er hat ein enorm wachsames Auge darauf, dass dieses Geld von den seiner Meinung nach "staatlich alimentierten Subjekten" ausschließlich für die wirklich absolut lebensnotwendigen Dinge verwendet wird. In Leserkommentaren sowie am Stammtisch wird er dabei nicht müde, bei diesen Menschen noch weiteres Einsparpotential zu entdecken. Und im austüfteln von Möglichkeiten, wie man "denen da" noch stärker "ordentlich Feuer unterm Arsch" und letzteren "mal richtig aufreißen" könne, ist sein Einfallsreichtum nicht minder beeindruckend. Ob als "Erfolg" solcher deutsch-menschlichen Vorschläge jemand noch mehr hungern, frieren oder seine altvertraute Wohnung verlassen muss, das ist so einem deutsch-menschlichen Vorschläger dann aber wieder egal.

Wir sehen also: Alles ist dem Deutsch-Menschen wohl doch nicht egal, zumindest nicht so ganz. Er setzt dabei halt nur bestimmte  Prioritäten. Und die oberste Priorität lautet "Was geht mich das Elend anderer Leute an?".
Sollte sich durch diesen Text nun jemand ggf. auf den Schlips oder die Füße getreten fühlen - klare Antwort darauf: Ein herzliches "Mir egal!"!











Donnerstag, 1. August 2013

Serie "Der große Kampf ums kleine Recht" - Folge 2: Der Sich-in-die-Einfahrt-Quetscher

Das der Deutsch-Mensch bei seinem unermüdlichen Kampf um sein "kleines gutes Recht" vor allem dann zu einer echten Kampfmaschine mutiert, wenn er in seinem fahrbaren Untersatz hockt, lässt sich an einem weiteren Beispiel aus dem täglich wahren Leben sehr schön erkennen.
Hier am Ort befindet sich mittendrin die Zweigstelle eines bekannten Billig-Einkaufsmarktes samt Kundenparkplatz. Die Parkplatzeinfahrt fungiert dabei gleichzeitig als Ausfahrt, ist allerdings für diese Doppelfunktion ein bisschen schmal geraten. Zwei durchschnittlich breite Mittelklasse-Pkw kommen bei schneefreier Witterung zwar knapp, aber immerhin noch halbwegs unproblematisch aneinander vorbei. Im Winter hingegen ist das mit der Unproblematik jedoch so eine Problematik für sich. Ebenso in der hiesig eher seltenen winterlosen Zeit, wenn zwei Exemplare ein wenig breiter geratene Fahrzeuge zeitgleich ein- und ausfahren möchten. In beiden Fällen wird dem interessierten Beobachter dann oftmals ein faszinierendes Schauspiel geboten. Der Einfahrer möchte - nein, er will und er muss - ja von einer vorfahrtberechtigten Straße her einfahren und somit muss er als rechtstreuer Bürger nun mal sein "gutes Recht" auch hier unnachgiebig durchsetzen.

Der Einfahrer sieht zwar durchaus, dass es eine verdammt enge Kiste werden wird, wenn er sich an dem ausfahrwilligen Fahrzeug vorbeiquetschen will. Aber weil er nun mal das Recht der alleinigen Vorfahrt genießt beginnt er nun erst recht, seinen Rechtsanspruch konsequent durchzuquetschen. Die Masse der Ausfahrwilligen setzt ja in der Regel unaufgefordert ein Stück zurück, um dem einfahrenden Rechtsinhaber die Zufahrt in die Weite des Parkplatzes zu ermöglichen - so es denn möglich ist. Haben sich nämlich hinter dem Ausfahrer bereits ein oder noch mehr Mitausfahrer versammelt, erweist sich das Zurücksetzen als recht schwierig bis gar nicht möglich. Manche Hinterleute können oder wollen halt nicht zurückweichen.
Das stört den rechtsbewussten Einfahrer jedoch herzlich wenig und so versucht er unverdrossen, sich an dem vorderen Ausfahrer irgendwie vorbeizuquetschen. Den Blick in schnellen Wechseln fest auf die eigene sowie die seitliche Karosserie des Kontrahenten gerichtet, geht es nun zentimeterweise voran und wenn´s noch nicht passen sollte wieder zurück, voran, zurück, usw., um auch noch den allerletzten Millimeter Freiraum zwischen den beiden Gefährten herauszuholen. Die Augen sind dabei weit aufgerissen und in die Stirne kräftige Falten gezogen. Bei manchen treten die Augen auch fast schon aus den Höhlen, sodass das in etwa wie bei Heino aussieht, nur mit ohne schwarze Barbara...äääh, Brille.

Während dieses Manövers ist es äußerst empfehlenswert, den gesamten Gesichtsbereich des derart Manövrierenden im beobachtenden Auge zu haben. Jener ist dabei nämlich heftig am grimassieren. Da werden die Backen mit Luft aufgepumpt, die Oberlippe weit über die untere geschoben oder beide Lippen breit über die vorderen Zähne samt angehängtem Zahnfleisch gefletscht. Einige wechseln auch munter zwischen diesen drei Varianten hin und her.
Bei den Lenkradkurbeleien, die mit solch einer Aktion zwangsläufig verbunden sind, ist auch häufig ein Kopfschütteln des Ausführenden zu erkennen. Und zudem kann man sehr oft klar sehen, dass der grimassierende Kurbler zwischendurch gern ein intensives Selbstgespräch führt, also auch noch am rumpupen ist.
Ein besonderes zusätzliches Schmankerl ist übrigens, wenn der Einfahrer als Chauffeur eines Wohnmobils oder Transporters im Einsatz ist. Da ist inhaltlich noch mal ein gewisser Extra-Thrill für den Beobachter gegeben.

Wenn das Chaos im Rückraum der Einfahrausfahrt irgendwann zu groß zu werden droht, dann geben die hinteren Mitausfahrer aber doch noch nach und setzen großzügigerweise ebenfalls zurück. Oder aber es geschieht ein wahres Wunder: Der Einfahrer sieht ein, dass es nichts wird, fährt zurück und tritt seinen Rechtsanspruch an den Ausfahrer ab! Ist zwar selten, aber auch schon vorgekommen.
Ich will ja nicht rumpupen, aber diese ganze zeit-, nerven- und kraftraubende Aktion könnte sich so ein rechtskämpferischer Einfahrer im Grunde genommen von vornherein ersparen. Ein kurzes, aber eindeutiges Handzeichen in Richtung Ausfahrer im Sinne von "Junge/Mädel, komm, fahr´ schnell raus", das würde bestimmt einiges vereinfachen. In maximal 3 bis 5 Sekunden wäre der Ausfahrer weg und der Einfahrwillige könnte bequem den Parkplatz befahren.  Tja, könnte...aber weil er hierbei auf sein "gutes Recht" verzichten müsste und sowas für ihn - zumindest zunächst - absolut nicht in Frage kommt, kurbelt und grimassiert er lieber minutenlang wild herum.

Sollte es einen "Orden wider der menschlichen Vernunft" geben - so ein Sich-in-die-Einfahrt-Quetscher wäre mit Sicherheit ein würdiger Ordensträgerkandidat...



Montag, 29. Juli 2013

Keine Lust heute...

Irgendwie habe ich heute keine Lust auf gar nichts. Auch nicht zum schreiben. Das hat aber absolut nichts mit allgemeiner Montagslustlosigkeit zu tun. Und da es mit derzeit 17 Grad Celsius als Außentemperatur nicht gerade heiß ist, scheidet Hitzeträgheit somit ebenfalls als Ausrede dafür aus. Es ist eben einfach so wie es ist: Ich habe keine Lust! Punkt bzw. Ausrufezeichen.
Eine besondere Erklärung hierfür kann ich beim besten Willen nicht liefern. Die einzige, die mir einfällt ist "Es gibt nun mal solche Tage".  Und ich denke mal, solche Tage kennt bestimmt jede(r) andere Mensch von sich selbst auch schon zur Genüge.

Dabei habe ich eigentlich gar keine Lust dazu, keine Lust zu haben. Außerdem müsste ich heute zumindest hier was schreiben. An getätigten Deutsch-Mensch-Beobachtungen mangelt es mir nun wahrlich nicht. Das vor mich hin tippselieren macht mir zudem großen Spaß, nur heute eben irgendwie nicht.
Ich könnte ja stattdessen im weiteren Tagesverlauf zum örtlichen Friedhof pilgern und den an anderer Stelle erwähnten ominösen, verloren gegangenen Grabstein suchen. Aber auch dazu habe ich heute keine Lust.

Die meisten Menschen meinen, dass man sich, wenn man Aufgaben zu erledigen hätte, auf die man eigentlich gar keine Lust hätte, dann eben dazu zwingen müsse. Was muss, das muss halt: Die Zähne herzhaft zusammenkneifen und die A....backen fest zusammenbeißen, dann geht das schon. Bei mir jedoch wirkt alles noch so kraftvolle zubeißen und -kneifen nicht. Wenn ich keine Lust habe, dann habe ich wirklich keine Lust, da hilft alles müssen und sich zwingen nichts! Und wenn ich was unter äußerem, erst recht aber unter selbst auferlegtem Zwang tun soll, dann  kommt in der Regel sowieso nichts Gescheites dabei raus. Also lass ich es an Tagen wie diesen besser gleich sein.

Die Masse der Deutsch-Menschen hat mit Sicherheit auch immer wieder mal nur recht wenig bis gar keine Lust auf das, was sie tun müssen. Nur geben sie das nicht zu, verstellen sich an solchen Tagen lieber und tun nach außen hin so als ob. Aber zu so einer Verstellung habe ich ebensowenig Lust wie zum schreiben oder zum auf geheimnisvolle Weise verschollene Grabsteine suchen - jedenfalls heute nicht.
Also nochmals der Hinweis an alle, die es immer noch nicht wissen sollten:

Ich habe heute keine Lust!

Ich danke für Ihr Verständnis!




Freitag, 26. Juli 2013

Unter Verdacht - der Brötchenholer nach Acht

Mittwoch letzter Woche, morgens ca. 08.10 Uhr in der Warteschlange an der Kasse eines örtlichen Discounters. Auf der Rückseite des sich Impotentmacher holen wollenden Schreibers dieser Zeilen stehen zwei Brötchenholer hintereinander. Brötchenholer A, allem Anschein nach Vorruheständler, bemerkt den ihm wohl persönlich bekannten Brötchenholer B und begrüßt ihn: "Nanu? Heute nich´ arbeiten?" (ohne "Guten Morgen" oder ein kurzes "Morg´n" vorweg). Der derart angesprochene Brötchenholer B: "Doch, Spätschicht." A: "Ach so...".
Dieses "Ach so..." klang fast schon erleichtert. Man konnte das unausgesprochene "Dann isses ja gut" förmlich heraushören. Ein "Das will ich auch stark hoffen" oder ein "Das will ich dir auch geraten haben" könnten aber ebenfalls in der besonderen Betonung dieses "Ach so..." mit enthalten gewesen sein.

Durch die Tatsache, dass sich ein noch im - ihm allgemein unterstellten - arbeitsfähigen Alter befindlicher Deutsch-Mensch zu einer Uhrzeit Brötchen holt, wo er vom Durchschnitts-Deutsch-Menschen eigentlich an seinem Arbeitsplatz erwartet wird, macht er sich also erst mal verdächtig. Er steht unter dem dringenden Tatverdacht, arbeitslos geworden zu sein. Erst wenn er auf Schichtdienst (oder ggf. Urlaub) verweist, entspannt sich der Fragesteller wieder. Sollte ein mit "Heute nich´ arbeiten?" Angesprochener nun "Nö, krankgeschrieben." erwidern, folgt darauf meist auch ein "Ach so...". Aus dessen eher skeptisch klingender Betonung ist dann aber oftmals ein "Na na, Freundchen, so krank siehst du mir aber nicht aus. Und wenn du noch Brötchen holen kannst, kann´s sowieso nicht allzu schlimm sein." heraus zu hören. In der allgemeinen Volksbeurteilung kommt man mit "krankfeiern" jedoch immer noch besser weg als mit dem Verlust des Arbeitsplatzes. Die größte Untat, die ein Deutsch-Mensch außerhalb des Bereichs "Straftaten" begehen kann, ist nun mal das abrutschen in die Arbeitslosigkeit. Und eben darum solche Fragen wie "Nanu? Heute nich´ arbeiten?". Schließlich muss der Deutsch-Mensch ja wissen, ob er mit einem ihm persönlich Bekannten weiterhin einen entspannten Umgang pflegen kann oder lieber nicht. Und ob er ihm zukünftig erst einen "Guten Morgen" wünschen und sich danach locker mit ihm unterhalten kann, natürlich auch.
Noch was für Hobbystatistiker: Die große Mehrheit der "Nanu? Heute nich´ arbeiten?"-Frager gehört dem ehrwürdigen Stand der Vor- und Ruheständler an, arbeitet also selbst nicht mehr.

Man merke sich folglich: Wer als "arbeitsfähig" erachteter Deutsch-Mensch morgens nach 8 Uhr Brötchen holt, macht sich bei seinen Mit-Deutsch-Menschen schon verdächtig...

Achtung - Bildausfall!

Eigentlich sollte an dieser Stelle ein Bild platziert sein. Uneigentlich ist hier aktuell aber leider keins zu sehen. Gestern nachmittag nämlich wollte ich auf dem hiesigen Provinzfriedhof ein Foto von einem Grabstein machen, auf dem dick, fett und unüberlesbar eingemeißelt "Leben ist Arbeit" steht. Dummerweise stand besagter Grabstein aber nicht mehr an der mir als erinnerlich vermeinten Stelle. Zwei Möglichkeiten hierfür: Entweder hat er, der Stein, sich aufgrund der auch hier herrschenden Hitzewelle eigenmächtig ein schattiges Plätzchen gesucht oder aber ich habe den genauen Standort schlicht und einfach vergessen. Persönlich tendiere ich jedoch zu erstaufgeführter Möglichkeit;-). Wie auch immer - ich bitte, diese technische Panne höflichst zu entschuldigen! 
Sobald ich diesen Stein wiedergefunden habe wird er umgehend nachgereicht - so ich denn dann meinen Fotoapparat nicht vergessen haben sollte!

Mittwoch, 24. Juli 2013

Serie "Der große Kampf ums kleine Recht" - Folge 1: Der Rumhuper

Am hiesigen südlichen Ortsausgang - wenn man von Süden kommt ist es übrigens der Ortseingang - befindet sich eine stark befahrene Kreuzung. Vier Straßen treffen hier aufeinander, aus jeder Himmelsrichtung eine.
Die Verkehrsführung inklusive Vorfahrtsregelung ist für den Erstbesucher dieser Kreuzung allerdings erst mal etwas irritierend.
Der Orts- sowie Kreuzungsunkundige achtet beim Herannahen sowieso erst mal auf die großen gelben Schilder mit den schwarzen Buchstaben und Pfeilen, an denen er sich zwangsläufig orientieren muss, damit er weiß, in welche Richtung er abzubiegen hat, um an sein gewünschtes Ziel zu gelangen. Wenn er das gemeistert hat, dann ist er in der Regel an den vorfahrtregelnden Verkehrszeichen bereits vorbeigefahren, ohne selbige überhaupt wahrgenommen zu haben.
Aber selbst wenn der Erstkreuzungsbefahrer jetzt weiß, wo er lang muss, wird es für ihn nicht zwingend einfacher. Auf der Fahrbahn sind nämlich nur zwei weiße Pfeile aufgemalt: Einer für Rechts- und einer für Linksabbieger. Die Pfeilspitze für den Geradeausfahrer sucht man hier vergeblich. Sollte so ein aus südlicher Richtung eintreffendes Kreuzungsgreenhorn also geradeaus fahren wollen bzw. müssen, dann weiß er eben nicht, ob er sich auf der Spur mit dem Linkspfeil oder auf der mit dem Rechtspfeil einordnen muss (Achtung - ein großes Geheimnis wird gelüftet: Es ist die mit dem Linkspfeil!). Die Frage, ob man hier nun als Geradeausfahrer trotzdem links blinken muss, ohne dann links abzubiegen, kann ich aber auch nicht beantworten. Dieses Frage sorgt selbst bei noch so altgedienten Kreuzungsbefahrern immer wieder für große Verwirrung.

Der Kreuzungsneuling tastet sich im Allgemeinen verunsichert und langsam an diese Kreuzung heran. Hat er sich dann eingeordnet, dann tastet er aber noch weiter, nämlich sich mitsamt seines Fahrzeugs behutsam über den Kreuzungsbereich, um versehentliche Zusammenstöße mit anderen Fahrzeugführern nach Möglichkeit zu vermeiden.
Und nun endlich betritt der Titelheld dieser Folge die Szenerie -Tusch TätärätäääBumm: Dem hinter so einem Herantaster befindlichen kreuzungskundigen Verkehrsteilnehmer dauert das alles nämlich viel zu lange und so drückt er kräftig auf die Hupe seines Vehikels. Wie die meisten Deutsch-Menschen hat er ebenfalls nun mal sowieso nur ganz ganz wenig bis gar keine Zeit und von letzterem zu allem Überfluss auch noch viel zu viel.
Zum Hupen allerdings schon, denn im Schnitt lässt er seine Hand schon mal gern bis zu 5 Sekunden oder länger auf dem Huptonauslöser ruhen. Manche bevorzugen aber auch mehrere kurze Hupstöße hintereinander. Hierbei entlarvt er sich jetzt als Unterart des Rumpupers - eben als der Rumhuper! "Pupen durch hupen" lautet die schlichte Devise für so einen Zeitgenossen.
Während des hupens bedient sich der eine oder andere Rumhuper zusätzlich noch seines Mundwerks zwecks unterstützenden verbalen rumpupens. Davon ist in den allermeisten Fällen akustisch jedoch nichts wahrnehmbar, weil nur selten was davon durch die geschlossenen Fahrzeugscheiben nach außen dringt. Der Gesichtsausdruck samt der deutlich erkennbaren Lippenbewegungen des Rumhupers sprechen aber eindeutig für so ein gleichzeitiges hupen und pupen.

Hat ein jungfräulicher Kreuzungsbenutzer diese für Ortsunkundige gewöhnungsbedürftige Verkehrsführung plus Vorfahrtsregelung falsch interpretiert, so wird er prompt erneut erbarmungslos zusammengehupt. Auch wenn er die Kreuzung schon halb überquert haben sollte - der eigentlich Vorfahrtsberechtigte wird nun zum Aushilfs-Rambo und gibt jetzt erst recht kräftig Gas, selbstverfreilich untermalt von einem länger anhaltenden Hupton. Denn nur er befindet sich ja schließlich im Vorfahrtsrecht und genau das muss  nun mal konsequent behauptet werden: "Scheiß-Touris, die denken wohl, sie hätten die Vorfahrt gepachtet! Sowas wollen wir hier gar nicht erst einführen!".
Bei so einer Aktion kommen die beteiligten Fahrzeuge oftmals gerade mal so eben noch in Millimeterarbeit aneinander vorbei. Es ist sowieso fast ein Wunder, dass es dabei nur recht selten zu Berührungen oder gar "richtigen" Kollisionen kommt. Der letzte eigenäugig wahrgenommene Vorfall dieser Art ereignete sich jedenfalls vor ungefähr 10 Wochen.
Ich kann leider nicht genau sagen, wie oft am Tag solche Huptöne im näheren Umkreis besagter Kreuzung zu vernehmen sind. Mit den durch gelegentlich dann doch im allerletzten Augenblick getätigten Vollbremsungen ausgelösten Quietschgeräuschen wollen wir gar nicht erst anfangen. Wenig ist das alles aber auf keinen Fall. Die umliegenden Kreuzungsanwohner dürften aus Gewöhnungsgründen diese Klänge aber mittlerweile wohl schon gar nicht mehr wahrnehmen.
Wenn ich mal ausreichend Langeweile haben sollte, dann stelle ich mich vielleicht mal so von morgens 7 bis abends 20 Uhr dort hin und führe eine entsprechende Strichliste. Eine für diesen Zweck ausreichende Menge Papier sollte ich dann aber schon dabei haben.

Nun könnte man meinen, der kreuzungskundige Verkehrsteilnehmer würde anhand des auf die weiter entfernte Herkunft seines Vordermanns verweisenden Kennzeichens im Voraus erahnen können, dass jener möglicherweise seine Schwierigkeiten mit dieser Kreuzung haben könnte. Nix da - so weit mitdenken ist absolut nicht drin! Und mit dem Verständnis für die eigentlich verständliche Unsicherheit so eines Kreuzungsfremdlings ist es somit auch nicht allzu weit her. Dann lieber pupen durch hupen. Oder besser gleich hup-pupen.

Verlassen wir nun diese wundersame Kreuzung und begeben uns weiter stadteinwärts. Auch hier stoßen wir immer wieder auf den einen oder anderen passionierten Rumhuper.
Steht z.B. auf unserer Fahrbahnseite ein Kfz, z.B. ein ausladender Lieferant, und wir meinen, bis der uns von weiter hinten entgegenkommende Wagen da ist sind wir schon lange an dem Hindernis vorbei, dann beschleunigt der Entgegenkommer nach dem Gewahren unseres Vorhabens mal eben kurz und kräftig. Und wenn er nah genug an uns herangekommen ist und wir schon halb an dem "Blockierer" vorbei gekommen sind, dann hupt er. Und im Innenraum seines Gefährts pupt er manchmal noch dazu.
Öffnen wir an einer stark befahrenen Straße zum aussteigen nur leicht die Fahrertür, so ist unser im Rückspiegel zuvor noch als ausreichend entfernt vermutete "Nachfolger" ebenfalls in Windeseile herangesaust und hupt. Das dann spätestens, wenn wir die Tür schon halb offen haben. Oder sogar  schon halb ausgestiegen sind.
Aber auch als FußgängerIn ist man vor Rumhupern nicht gefeit. Man steht zwecks Fahrbahnüberquerung so still vor sich hin, um zwecks beabsichtigter hurtiger Überquerung eine groß genug geratene Lücke zwischen den auf beiden Fahrbahnhälften dicht hintereinander klebenden Fahrzeugen zu erspähen und selbige umgehend auszunutzen. Bietet sich so eine Lücke dann tatsächlich an kann man gar nicht so schnell gucken, wie der eben noch weit genug entfernte vermeinte Mit-Verkehrsteilnehmer da ist: Passant auf der Fahrbahn erblickt, kraftvoll auf die Tube gedrückt - und dann gehupt. Dieses sehr gern gerade auch dann, wenn der Straßenüberquerer das gegenüberliegende Ziel bereits fast erreicht hat. Aber eben nur fast...
Ist diese Extrabeschleunigung in den vorgenannten Fällen nun einfach nur Bosheit? Oder schlicht Dummheit? Oder möchte so ein Zeitgenosse einfach nur die günstige Gelegenheit nutzen, um mal wieder die ordnungsgemäße Funktionstüchtigkeit seiner Hupe einschließlich korrekter Lautstärke überprüfen zu können?

Der Rumhuper ist weder auf eine bestimmte Altersgruppe noch auf ein bestimmtes Geschlecht zu reduzieren. Das rumhupen ist sozusagen alters- und geschlechterübergreifend.
Erst vorgestern wurde der Schreiber dieser Zeilen selbst angehupt. Allerdings nicht an jener ominösen Kreuzung, denn die kennt er als Einheimischer ja zur Genüge.
Mit einem mir kurzzeitig leihweise überlassenen Pkw wollte ich auf der örtlichen "Einkaufsstraße" rückwärts aus einer Parklücke auf die Fahrbahn zurücksetzen (Schrägaufstellung an Straße mit leichter Steigung). Rechts neben mir stand ein Transporter, der mir die Sicht auf die auf "meiner" Seite von rechts unten her nahenden Fahrzeuge verdeckte. Also gaaanz langsam Stückchen für Stückchen zurück gerollt, wie sich das gehört. Als "mein" Heck gerade so ein paar wenige Zentimeter hinter dem des Transporters vorragte konnte ich es laut und deutlich hören - das eindeutig mir geltende Geräusch, das von einer herzhaft-kraftvoll gedrückten Autohupe ausgeht! Bruchteile von Sekunden später rauschte auch schon die Verursacherin dieses Geräuschs denkbar knapp hinter mir bzw. dem Pkw-Heck durch - mit dabei noch immer eisern festgehaltener Hupe, versteht sich: Eine mit vermutlich wie gewohnt wenig Zeit ausgestattete, bei Blick in den Rückspiegel geschätzt in den Mittdreißigern befindliche, Verkehrsteilnehmerin. Nun könnte man annehmen, die gute Frau hätte vielleicht die Wahrscheinlichkeit, dass aus der Parklücke hinter dem Transporter- plötzlich und eventuell noch ein weiteres Kfz-Heck in Erscheinung treten könnte, mit ins Auge fassen können. Da sie jedoch auf dieser als 10km/h-Zone ausgewiesenen Fahrbahn deutlich schneller als mit der erlaubten Geschwindigkeit unterwegs war (schätzungsweise um die 50km/h), kann man sich so eine verwegene Annahme eh schenken. Von der Möglichkeit des kurz haltens und mich rauslassens reden wir besser gar nicht erst.
Ob diese Dame beim hupen zusätzlich verbal rumgepupt hat konnte ich wegen der Schnelle des Augenblicks vom Rückspiegel aus betrachtet aber nicht erkennen.

Wie wir an diesen Beispielen gesehen haben neigt der rechtsbewusste Deutsch-Mensch gerade im Straßenverkehr zu teils recht waghalsigen und fast schon actionfilmreifen Manövern, um sein "kleines" Recht durchzusetzen.
Und wenn das rumpupen hierzu allein nicht ausreicht, dann wird eben zusätzlich noch gehupt - oder umgekehrt...


Dienstag, 23. Juli 2013

Neue Serie: Der große Kampf ums kleine Recht

In den folgenden Ausgaben des Volks-Beobachters wollen wir uns zwischendurch immer mal wieder dem Deutsch-Menschen bei der täglichen energischen Durchsetzung seines - oftmals aber nur vermeintlich - "guten Rechts" widmen.

Im Allgemeinen ist der Deutsch-Mensch gar nicht mal so kleinlich, wenn es um seine "großen" Rechte geht. Das seit geraumer Zeit wesentliche Bestandteile seiner Grund-, Bürger- und Freiheitsrechte in verstärktem Maße eingeschränkt, ausgehebelt oder gar abgeschafft wurden bzw. werden, entlockt ihm z.B. lediglich ein gelangweiltes Achselzucken. Seine eigene kleine Welt soll und muss für ihn einfach sein und bleiben und von daher wäre für ihn jede nähere Beschäftigung mit seinen "großen" Rechten und deren Erhalt nur unnötig störend.
Ganz anders hingegen sieht das für den Deutsch-Menschen im normalen Alltag seiner einfachen kleinen Welt aus. Wenn er da auch nur im geringsten vermeint, irgend jemand wolle ihm ausgerechnet hier sein "gutes Recht" streitig machen,... auha. Da wird in ihm im Handumdrehen die Kämpfernatur geweckt, da wird er zum unerschrockenen Verteidiger des "kleinen" Rechts, nämlich seines als solches empfunden eigenen.
Ohne Rücksicht auf Verluste wird in so einem Fall mit Tunnelblick und harten Bandagen gekämpft und keinen einzigen Millimeter zurückgewichen. Unnachgiebig und von unnötigem Ballast wie Vernunft nunmehr vollständig befreit, fightet der Deutsch-Mensch um sein tägliches "kleines" Recht.

Ob am Gartenzaun, im Straßenverkehr, auf Parkplätzen, an der Kasse im Einkaufsmarkt, am Pfandautomaten - gerade hier spielen sich Tag für Tag immer wieder dramatische Szenen voller Action, Spannung und (ungewollter) Situationskomik ab, die den Zuschauer stets aufs Neue in ihren Bann zu ziehen vermögen.
Werden also auch Sie zum "Schlachtenbummler" und verpassen Sie daher auf gar keinen Fall unsere neue Serie "Der große Kampf ums kleine Recht" - demnächst auch auf Ihrem Monitor!




Sonntag, 21. Juli 2013

Einmal Erbsensuppe, bitte!

Ist das heute nicht ein herrlicher Sonntag, der seinem Namen mal wirklich alle Ehre macht? Von mir aus könnte das jedenfalls für den Rest des Jahres gern so bleiben. Regnen sollte es zwischendurch zwar schon, aber das könnte sich ja ausschließlich auf die Nachtstunden beschränken.
Wie auch immer, bestimmt finden auch heute irgendwo im - besonders aber auf dem - Land von Vereinen, Verbänden, Interessengemeinschaften und öffentlichen Institutionen organisierte Freiluftveranstaltungen mit Volksfestcharakter statt. Man kennt sowas ja: Stadt-/Stadtteil- oder Dorffest, Straßenfest, Sommerfest, Orts- oder Vereinsjubiläum, usw.
Neben den üblichen Fress- und Saufbuden steht bei vielen derartigen "Events" auch eine dieser mobilen "Outdoor-Küchen" herum, die vom Volksmund als "Gulaschkanone" tituliert wird. Nur wird bei solchen Festivitäten aus dieser Kanone zumeist eben kein Gulasch abgefeuert, sondern Erbseneintopf - je nachdem mit darin enthaltener Bockwurst und/oder fettem Speck.

Vor solch einem Eintopf-Geschütz bildet sich vor allem um die Mittagszeit herum stets eine beträchtliche Menschenschlange, die Appetit auf die herzhaft-deftige "Kanonenmunition" bekommen hat. Die Mitglieder dieser Aufreihung sind überwiegend männlich und alterstechnisch zwischen den mittleren und gehobeneren Jahrgängen angesiedelt.
Nach dem mittels einer großen Kelle bewerkstelligten Einschlags so eines "Eintopf-Geschosses" in der weißen Plastikterrine löffelt der Erbsensuppen-Gourmet nunmehr munter im Stehen drauf los, wobei er sich eines ebenfalls weißen sowie aus kunststofflichen Materialien hergestellten Löffels bedient. Hierbei sondert er zwischendurch - wegen mit erbsensuppenmäßig ausgefüllten Backenräumen nur schwer verständliche - Kommentare wie "Mmmh, fmeckt efft Klaffe!" und "Jawoll, daf if´ noch `ne  riftige Erbfenfuppe...ganf wie früher!" ab.

Dem Beobachter diesen Treibens rund um so eine "Gulaschkanone" herum stellt sich nun folgende Frage: Was würde so ein Sonntags-Erbsensuppengenießer wohl zuhause sagen, wenn er seine Lebensabschnittsgefährtin am Freitagabend "Du, weißte schon, was Du am Sonntag zum Mittagessen machst?" fragen und die so Angesprochene darauf mit "Och, ich hab´ gedacht, ich mach´ uns mal ´ne schöne Erbsensuppe. So `ne richtige... wie früher!" antworten würde? Vermutlich würde sich bei so manchem die Begeisterung für einen sonntäglichen heimischen Erbseneintopf in eher bescheidenen Grenzen halten: "Sach mal, haste se noch alle? Ich ess´ sonntags ja wohl bestimmt keine Erbsensuppe!!!".

Nur zuhause also möchte man(n) sonntags keine Erbsensuppe nicht -
das wäre dann wohl sowas wie die Moral von der Geschicht´...

Donnerstag, 18. Juli 2013

Aus aktuellem Anlass: Sind Fliegen einfach nur doof?

Seit ein paar Tagen ist nun endlich auch hier in dieser Region, in der der Volks-Beobachter seine Beobachtungen tätigt, so etwas wie Sommer ausgebrochen. Es herrschen hier zwar mit Temperaturwerten im unteren bis mittleren 20-Grad-Bereich zwar keine schweißtreibenden klimatischen Bedingungen, aber für die Bewohnerschaft dieser ansonsten auch im Sommer nicht gerade sonnen- und wärmeverwöhnten Ecke sind das beinah schon sub- bis tropische Verhältnisse.

Gerade bei solch seltenen angenehmen Witterungsbedingungen wird natürlich die Wohnung öfter und länger gut durchgelüftet als im Winter. Bei Abwesenheit möglichst alle Fenster auf Kipp, bei Anwesenheit einige bis alle Fenster sperrangelweit auf. Falls vorhanden gilt das ebenfalls für Balkon- oder Terrassentüren. So weit, so gut gelüftet.
Allerdings nutzen gewisse kleinere tierisch-insektische Zeitgenossen diese Tage der offenen Fenster und Türen vermehrt zum unerlaubten und von daher unerwünschten Eindringen in die menschlichen Behausungen. Es ist sowieso schon ein Anzeichen für Dummheit an sich, dass diese Brummer und Summer es bei derart traumhaftem Wetter vorziehen, sich in anderer Leute Wohnungen aufzuhalten - und das sowieso gerade und ausgerechnet in den hiesigen eher kühlen Breitengraden.
Statt diese seltenen Schönwettertage sinnvoll zu nutzen und draußen in der Sommerluft umherzuschwirren hocken sie lieber in der Bude rum! Also so ganz "normal" ist das ja nun wohl wirklich nicht, oder?

Es heißt ja, dass Fliegen hauptsächlich von Küchengerüchen angelockt würden. Aber irgendwie wollen sich unsere modernen Fliegen absolut nicht an diese alte Volksweisheit halten! Statt in der Küche lungern sie nämlich immer in genau den außerküchlichen Räumlichkeiten rum, in denen sich der menschliche Bewohner gerade aufhält. Wenn die Gemeine Stubenfliege sich hierbei wenigstens still und unauffällig verhalten würde, könnte mensch das ja durchaus tolerieren. Das Dumme aber ist, dass diese in vornehmeren Kreisen auch als Musca domestica bezeichneten Nervensägen während so eines häuslichen Aufenthalts unentwegt die menschliche Nähe suchen. Ob man am PC hockt oder auf der Couch sitzend am lesen oder in die Röhre gucken ist - andauernd sausen die Muscas um einen herum. Und das bevorzugt um den Kopf.
Besonders unangenehm ist das, wenn sie sich die Ohren und Nasenlöcher des PC- oder Couchhockers als favorisierte Sausezone gewählt haben. Zwischendurch lassen sie sich für ein Päuschen gern auf den entblößten menschlichen Unter- und Oberarmen nieder. Ist mensch barfuß setzen sie sich auch mal auf den einen oder anderen Fußbereich. Letzteres hat aber absolut nichts mit Schweißfußträgern zu tun! Ob Käsefüße oder nicht, die normal-durchschnittlich gebildete Fliege macht dahingehend keinerlei Unterschiede!
Wenn sie sich auch hier einigermaßen gesittet benehmen und still sitzen würde, könnte mensch auch dieses noch hinnehmen. Aber nein, sie nutzt ihre Flugpause überwiegend dazu, munter auf besagten Körperteilen zwecks genauerer Erkundung rumzukrabbeln. Solch ein Verhalten empfinden nicht nur kitzligere Naturen als äußerst störend und so stellt sich dem Betroffenen unweigerlich die Frage: "Wie kriege ich den Plagegeist schleunigst wieder aus meiner Wohnung?".

Im Verlauf eines längeren Entwicklungsprozesses im Kopf habe ich mittlerweile den Respekt vor ausnahmslos jeder Art und Form von Leben verinnerlicht. Somit kommen für mich persönlich Fliegenklatschen, Zeitungen oder chemische Waffen auch bei der Fliegenentfernung überhaupt nicht erst in Frage. Also erhebe ich mich in solchen Fällen von meiner jeweiligen Sitzgelegenheit und versuche, die Nervtöter dank entsprechender Hand- oder Zeitungsfuchteleien Richtung offenes Fenster zu treiben. Dies gelingt in aller Regel ganz gut - zumindest bis zum Fenster. Denn statt nun aus der wahrlich ausreichend großen Öffnung nach draußen zu entschweben, dreht so eine dahin getriebene Fliege stets zum Fensterrahmen ab, um eben jetzt dort weiter zu verweilen. Sie will nun mal trotz aller unmissverständlichen Hinweise meinerseits um´s verrecken nicht raus in die Sonne!

Mit Hand oder Zeitung wird nunmehr versucht, so ein Musca-Tier durch mehr oder weniger sanften Druck zur offenen Fensterfront zu bewegen. Doch was macht dieses widerspenstige Wesen? Es krabbelt den Rahmen entlang nach oben oder unten! Oder es weicht geschickt nach links oder rechts zur jeweiligen Wandseite hin aus. Ist das Fenster nur gekippt, dann springt es auch gern auf die Scheibe. Dort weicht es ebenfalls durch reges Auf-, Nieder-, Kreuz- und Quergekrabbel allen Abdrängversuchen Richtung Fensteröffnung aus.
Als unermüdlicher Fliegenscheucher gebe ich aber nicht so schnell auf und dränge den Flüchtling pausenlos in immer wieder neue Anläufen Richtung Ausgang. Und irgendwann habe ich ihn dann doch weichgekocht: Der Störenfried entweicht tatsächlich durch die jeweilige Öffnung, beschreibt flugtechnisch draußen vor dem Fenster einen großen Bogen - und kommt danach umgehend durch eben jene Öffnung wieder reingesaust!
Bei geöffneter Balkon- oder Terrassentür verhält es sich hierbei übrigens nicht anders als mit den offenen Fenstern - der bescheidene Erfolg ist am Ende der gleiche!
Der schnelle Heimkehrer zieht es jedenfalls jetzt sicherheitshalber vor, den Raum bis zum entgegengesetzten Ende zu durchfliegen und sich erst mal an der dortigen Wand ein wenig auszuruhen. Nach einer Weile startet er aber erneut zu aufdringlichen Annäherungsversuchen - und das ganze Spiel beginnt von vorn...

Doofe Fliege
Wenn man sich nun dieses stubenfliegerische Verhalten - insbesondere am und um das Fenster - so ansieht, dann kann man eigentlich nur zu einem Schluss gelangen: Fliegen sind schlicht und einfach nur doof!

P.S.: Zu ihrer Ehrenrettung muss gesagt werden, dass diese "geistigen Tieffliege(r)n" nicht allein mit ihrem seltsamen Fensterverhalten sind! Schnaken z.B., im Volksmund auch Schneider, Schuster und Langbein genannt, sind nämlich mindestens genauso doof!

Mittwoch, 17. Juli 2013

Der heilige Rasen von Hannes

Den "heiligen Rasen von Wimbledon" kennt eigentlich jede(r). Oder hat zumindest schon einmal davon gehört, selbst wenn er oder sie sich überhaupt nicht für Tennis interessiert. Der "heilige Rasen von Wimbledon" ist nun mal auch hierzulande weltberühmt - spätestens seit Bum-Bum-Bobbeles und Gräfin Stefanies seligen Tennis-Zeiten.
Und dann gibt es da noch den heiligen Rasen von Hannes. Der ist aber nicht ganz so berühmt wie der im englischen "Tennis-Mekka". Den kennt nämlich kaum jemand - außer den Nachbarn, Verwandten und Bekannten von Hannes. Ein weiterer großer aber feiner Unterschied zwischen dem Wimbledon-Rasen und dem von Hannes ist: Der von Hannes ist besser gepflegt - bedeutend besser!

Eine kurze Zwischenbemerkung noch: Wenn es in "Beobachtungsreportagen" um bestimmte Einzelpersonen geht, werden die betreffenden Namen stets geändert.
Dies geschieht ausschließlich aus Gründen, die der weiteren Aufrechterhaltung der körperlichen Unversehrtheit des Beobachters sowie Verfassers dienen!

Nun aber weiter im Text: Hannes war mein Nachbar und dazu auch noch um 3 Ecken herum mit mir verwandt. Irgendwann Anfang der 1970-er-Jahre hat Hannes, der zuvor mit Gattin und Sohnemann zur Miete gewohnt hat, schräg gegenüber von meinem damaligen Domizil ein Haus mit Grundstück gebaut. Dieses hat er dann nach Fertigstellung samt Frau, Sohn, Vater und Mutter bezogen. Und ab da wurde es für den neutralen Beobachter in unserer Straße höchst interessant.
Jeden Vormittag hat nun Hannes´ Vater eine ausführliche Grundstücksbegehung durchgeführt. Dabei wurde akribisch aufgelistet, welche haus- und grundstückseigentümerischen Tätigkeiten Hannes am Nachmittag zu erledigen hatte. Wenn Hannes dann um 15 Uhr von der Arbeit kam, wurde er unmittelbar nach entsteigen seines Kraftfahrzeugs von der Arbeitsliste samt dranhängendem Vater noch vor der Haustür aufgelauert und Hannes erhielt eine kurze, aber deutliche Einführung in das sorgfältig ausgearbeitete Nachmittagsprogramm: "Der Strauch da hinten rechts muss an der linken hinteren Ecke oben rum noch mal nachgeschnitten werden!". Oder: "Die untere Hauswand nach hinten raus muss unbedingt wieder abgewaschen werden!".
Punkt 15.05 Uhr stand Hannes "gestiefelt und gespornt" - sprich im dunkelblauen Drillich - auf der Matte und arbeitete besagte Liste ab. Sein Vater führte dabei stets gewissenhaft Aufsicht und gab dazu gute Ratschläge sowie den einen oder anderen nett formulierten Hinweis, wo Hannes nicht genau genug geschnippelt  - oder abgewaschen - hatte: "Hannes, Mensch! Mach´ gefälligst die Augen auf beim schneiden! Da rechts außen steht noch´n Zippel vor!". "Hee, Hannes, da... der eine kleine Fleck da...den haste aber noch nich´ richtig weggewischt!", usw.
Mir ist es übrigens bis heute ein absolutes Rätsel geblieben, wie es Hannes in diesen 5 Minuten zwischen 15 und 15.05 Uhr zwischen heimatlicher Ankunft und Arbeitseinsatz stets geschafft hat, sich umzuziehen und gleichzeitig sein warmes Mittagsmahl einzunehmen.

Eine Ausnahme, bei denen Hannes´ aufsichtführender Vater auch mal aktiver ins Geschehen eingriff, war das mittels eines in spülmitteldurchsetzten Wasser getränkten Wischlappens getätigte, sorgfältige einzelne abwaschen der zwischen Garagenauffahrt und Hauseingangsbereich zur Deko dienenden und von daher dort rumliegenden ca. 45 weißen Quarzsteine. 
Tja, und dann war da noch das Rasenmähen. Hannes drehte hierbei unter gewohnt sorgsamer väterlicher Anleitung mit einem "Benziner" seine Rasenrunden, bis die Rasenfläche ausreichend gestutzt war. Anschließend ging es direkt zum absoluten Highlight dieser Veranstaltung über: dem Rasenkanten und Grashalme schneiden und noch mal nachschneiden!
Hierzu pflegte sich Hannes Vater zwecks besserer Übersicht auf den Bauch zu legen, um Hannes sicher zu den einzelnen Halmen zu geleiten: "Hannes, da vorne...ja...`n Stück weiter links...links, links, links. Ja! Und jetzt rechts...rechts, rechts, rechts...ja, da! N´ Stück nach hinten...weiter, weiter, weiter...Halt, jetzt nach rechts...rechts...rechts...Halt, `n bissel nach links. Japp!". Auf diese Weise wurde vom auf allen Vieren dahinkriechenden Hannes jeder einzelne der geschätzt 1.275.683 Grashalme mit einer Nagelschere (!) mikrometergenau auf eine einheitliche Länge gebracht.
Zwischen den Mäheinsätzen wurde der Rasen übrigens und außerdem noch regelmäßig gründlich ab- und durchgeharkt.

Kurz nachdem sein Vater das Zeitliche gesegnet hatte begab sich Hannes in den vorgezogenen Ruhestand. Wer aber nun dachte, Hannes würde es mit der Gartenpflege jetzt ein wenig ruhiger und gelassener angehen, hatte sich allerdings schwer getäuscht. Das väterliche Angedenken stets ehrfürchtig hochhaltend krauchte Hannes auch weiterhin unentwegt über den Rasen, peilte die einzelnen Halmlängen, schnippelte an ihnen sowie den Sträuchern zugehörigen Zweigen und Ästen herum und harkte ab und um. Auch bei sonstigen haus- und gartentechnischen Arbeiten legte er selbstredend dieselbe akribische Sorgfalt an den Tag.
Hannes verfügte außerdem über ein gewisses handwerkliches Geschick und so wurden viele Reparaturen, Nach-und Verbesserungen sowohl an und im Haus als auch Garten eigenhändig durchgeführt. Da hierbei mit der gleichen Akribie wie bei Rasen und Sträuchern vorgegangen wurde, konnte z.B. das tapezieren eines mittelgroßen Raumes gut und gerne schon mal 3 volle Tage zuzüglich Abende in Anspruch nehmen. Und selbstverständlich wurde das Hannes-Mobil genauso penibel gehegt und gepflegt wie alles andere auch. Da die hierzu eigentlich errichteten und dafür vorgesehenen Waschanlagen Hannes´ Meinung nach nicht gründlich genug säubern würden, hat er bis zuletzt sein Auto in der Garagenauffahrt selbst gewaschen; und das natürlich äußerst gründlich. Wohlmeinende Mitmenschen, die ihn höflich darauf hinwiesen, dass das evtl. teuer werden könne, beschied er knapp mit "Auf meinem Grundstück mache ich, was ich will; da hat mir keiner vorzuschreiben, ob ich da nun mein Auto wasche oder nicht!". Peng!
Das die Kfz-Innenreinigung ebenfalls besonders gewissenhaft erfolgte muss wohl nicht gesondert erwähnt werden.

So ein hannes´scher Ruhestands-Arbeitstag begann in der Regel um 7 Uh früh und endete - unter Berücksichtigung kurzer Pausen zwecks Einnahme von Mittag- und Abendessen - je nach Jahreszeit mit Einbruch der Dunkelheit. Im Sommer war somit erst gegen 22 Uhr Feierabend. Da Hannes ganzjährig eine 7-Tage-Woche hatte, bildeten somit auch Sonn- und Feiertage keine Ausnahme von dieser ehernen Regel. Auch schlechte äußere Witterungsbedingungen wie z.B. Dauerregen konnten Hannes in seinem Elan nicht bremsen. In solchen Fällen kleidete er sich in "Friesennerz" und Gummistiefel, um auch unter solch ungünstigen Umständen pflichtbewusst seinen Außendienst verrichten zu können. Kritischeren Geistern, die Hannes während dessen Rasen- und Strauchpflege mutigerweise mal die Frage stellten, ob er denn damit nicht ein wenig übertreibe, entgegnete Hannes knapp aber deutlich: "Jeder macht´s so, wie er´s für richtig hält!" - Diskussion damit beendet.
Richtig pampig konnte Hannes aber werden, wenn ihn jemand wegen seiner Pedanterie ein bisschen foppen wollte. So sah ihm beispielsweise mal ein Nachbar bei so einer Nagelscheren-Grashalmlängenangleicherei eine Weile zu, wobei sich dieser von mir eigenohrig gehörte Dialog entspann: "Du, Hannes, haste mal´n Blatt Schmirgelpapier für mich?" "Jaha. Wozu brauchst´n das?" "Och, ich wollte nur Deine Grashalme noch´n bisschen abschmirgeln!".
Dieses waren dann so die Momente, in denen Hannes not amused war und auch recht ungehalten werden konnte. Nicht selten entlockten ihm derartige unqualifizierte Kommentare dann verbale Entgleisungen wie "Du Arschloch! Kümmer´ Dich gefälligst um Deinen eigenen Kram!" (Stichwort: "Rumpuper").

Wer nun denkt, diese Grashalmgeschichte sei nicht mehr zu überbieten, der hat Hannes nicht gekannt! Irgendwie schaffte er es immer, noch eins drauf zu setzen. An einem Tag im Herbst blickte ich z.B. zufällig vom Fenster rüber zum Hannes´schen Grundstück und sah dabei mit einiger Verwunderung, wie Hannes da mit nach oben ausgestreckten Armen wie mit einem im Rücken steckenden Schlüssel aufgezogen hin und her hopste. Erst nach mehrmaligem genaueren Hinsehen konnte ich den Grund dafür analysieren: Hannes fing die durch die Luft segelnden Laubblätter auf, damit sie nicht auf seinem Rasen landeten!
Noch ein "abschreckendes" Beispiel: An einem Nachmittag im Frühjahr ertönte von Hannes Grundstück her ein seltsames Brummgeräusch. Nach Einnahme des Fensterplatzes bot sich dem Hannes-Beobachter folgendes Bild: Hannes, der bis an die Zähne mit einem Hausstaubsauger bewaffnet die Überreste des daneben gefallenen Wintervogelfutters rund um das Vogelhäuschen vom Rasen saugte!
Wer das alles nicht mit eigenen Augen gesehen hat, der oder die glaubt es sowieso nicht. So hat Hannes an langweiligen Nachmittagen jedenfalls immer wieder für Unterhaltung gesorgt. Wenn man an öden Nachmittagen nicht wusste, was man machen sollte - einfach mal aus´m Fenster schauen, was Hannes gerade so treibt. Da wurde einem eigentlich immer irgendwas geboten. Und vor neuen Überraschungen Hausmarke Hannes war man auch niemals wirklich sicher!

Nervig für einen selbst konnte es allerdings werden, wenn Hannes um nachbarliche Mithilfe ersuchte. Er erwartete in diesen Fällen nämlich von anderen dieselbe "Akkuratesse" bei der Arbeit wie von sich selbst. Bei entsprechendem Fehlverhalten wurde das dem willigen Helfer dann auch gnadenlos um die Ohren gehauen.
Nicht selten hat Hannes vor bestimmten Arbeiten exakte Zeichnungen hinsichtlich der jeweiligen Vorgehensweise angefertigt. Als z.B. die oben im Haus befindliche Wohnung von Hannes´ Mutter nach deren Ableben leergeräumt wurde, um daraus eine Ferienwohnung zu machen, und dabei eine Eckcouch durch die Tür geschleppt werden musste, hat Hannes auch hierfür zuvor eine genaue Skizze gefertigt. Auf dieser war genauestens aufgemalt und berechnet, wie das eckige Ding ohne möglicherweise kleinere Beschädigungen am Türrahmen zu hinterlassen, durch die Tür zu kriegen war. Auch für das aufstellen von robust-hölzernen Sitzbänken samt Tisch auf der Terrasse hinterm Haus wurde eine Planskizze erstellt, weil diese Gerätschaften am Boden schließlich millimeter- und auch sonst haargenau an die Ritzen der Steinplatten an- und miteinander abschließen mussten.

Wer nun meint, das Hannes es im Winter zwangsweise ruhiger angehen ließ - tja, auch der oder die liegt mit dieser Einschätzung aber sowas von komplett daneben! Statt auf Rasen und Sträucher stürzte er sich jetzt mit Begeisterung auf den Schnee! Von Gehweg, Garagenauffahrt sowie Hauseingangsbereich wurde der gefallene Schnee mittels eines Schneeschiebers sorgfältigst geräumt, an einen zentralen Punkt geschoben oder geworfen, bis sich nach und nach ein gewaltiger Haufen aufgetürmt hatte. Dieser Haufen wurde von Hannes dann mithilfe einer sog. "Schneehexe" 70m weiter zum Waldrand befördert und dort einen kleinen Hang hinunter gekippt. Nach längeren oder starken Wintern hatte sich dort meist so viel von Hannes´ gesammelten Schneewerken aufgetürmt, dass Restbestände davon nicht selten noch Mitte Mai aus dem jetzt auch hier rundherum satten Grün auffällig-unauffällig vorragten.
Mit der letzten Schneehexenfuhre war Hannes´ Werk aber noch lange nicht vollendet. Mit dem Schneeschieber wurde nun die "Schneewange" entlang des Grundstücks geplättet und sorgsamst glatt gestrichen. Der obere "Wangen-Abschluss" wurde anschließend am vorderen Rand zu einer Art Tischkante "modelliert", wobei auch hier selbstverständlich auf kerzengeraden Verlauf und korrekte "Eckigkeit" dieser Kante geachtet wurde. Selbst wenn es vor Hannes´ Schneeräumeinsatz mit schneien aufgehört hatte - dieses Prozedere dauerte immer mehrere Stunden. Meist setzte dann irgendwann erneut Schneefall ein, aber Hannes fing in so einem Fall unverdrossen wieder vollkommen von vorne an. Bei länger anhaltenden Schneefällen war er dann konsequenterweise nonstop in Aktion. An winterlichen Spitzentagen fing er bereits um 5 Uhr früh an und zog das dann mit kurzen Unterbrechungen für Frühstück, Mittag- und Abendessen bis spätabends 23 Uhr unermüdlich so durch! Der interessierte Beobachter brauchte also auch im Winter nicht auf die - frei nach dem Titel einer früheren Fernseh-Kriminalserie mit Beppo Brem - seltsamen Methoden des Hannes zu verzichten.

Es scheint so, dass Menschen, die zu viel Zeit mit Hannes verbracht hatten, von dessen Marotten infiziert wurden. Marianne jedenfalls, die Frau von Hannes, wurde im Laufe der Jahre ebenfalls immer "komischer". Auch sie war ab einem gewissen Zeitpunkt so weit, dass sie tagtäglich von morgens bis abends im innerhäuslichen Bereich ununterbrochen am machen und tun war. Wenn man aus irgendwelchen Gründen mal das Hannes-Haus - mit vor der Haustür ausgezogenen Schuhen natürlich - betreten musste, war Marianne vom Dachboden bis zum Keller und wieder zurück pausenlos (Ausnahme: die Einnahme der jeweiligen Mahlzeiten) mit hausfraulichen Tätigkeiten befasst. Und auch für sie galt hierbei logischerweise die 7-Tage-Woche. Und Marianne war auf die Minute genau so lange im Haus am wirbeln wie Hannes draußen.
Dem neutralen Beobachter erschienen einige dieser Tätigkeiten manchmal allerdings schon etwas mehr als übertrieben. So kam es z.B. vor, dass der Schreiber dieses Berichts einmal aus nicht mehr erinnerlichen Gründen die dortige Küche betrat. Dort sah es freilich erwartungsgemäß aus wie "geleckt", nur auf dem Küchentisch stand verloren ein einsamer Kaffeebecher herum. Marianne ließ prompt eine Entschuldigung zu dieser ungeheuerlichen Schweinerei vom Stapel: "Du musst bitte entschuldigen, dass es hier so unordentlich aussieht, aber ich hab´ mir gerade eine Tasse Kaffee gemacht!". Sprach´s, nahm den Kaffeepott vom Tisch, stellte ihn auf der Anrichte ab und wischte die vorherige "Becherstellfläche" mit einem feuchten Tuch ab. Nahm den Becher, stellte ihn wieder an die alte Stelle auf den Tisch und wischte nun den betreffenden Bereich auf der Anrichte feucht ab. Auch hier gilt wie schon bei Hannes: Wer es nicht mit eigenen Augen usw...

Mitleidige Nachbarinnen haben hin und wieder versucht, Mariannes Widerstandsgeist zu wecken. "Mensch, Marianne, mach´ doch nicht immer diesen Quatsch mit! Wenn der Hannes von früh bis spät draußen rumfummeln will, dann lass ihn das machen. Aber sei Du nicht so blöd und gönn´ Dir auch mal was Gutes. Mach´ Dir zwischendurch doch einfach mal `nen schönen Tag, fahr  mal irgendwo hin zum rumbummeln oder mach sonstwas!". Mariannes Standardantwort darauf: "NeeNee, wenn Hannes arbeitet, dann muss ich auch arbeiten. Ich hab´ sonst keine Ruhe!". "Dann hau´ Dich wenigstens nachmittags mal für ´ne Stunde aufs Sofa und leg´ die Füße hoch..." "Nee, wenn ich weiß, dass Hannes draußen arbeitet und ich dann auf der Couch liege...also nee, dabei hätte ich ein ganz schlechtes Gewissen!".
Wenn Marianne im Sommer abends um 21 Uhr die Fenster putzte, so eine besorgte Nachbarin dabei am Hannes-Haus vorbeiging und zu ihr sagte: "Mensch, Marianne, es is´ abends um Neune! Mach´ endlich mal Schluss für heute, die Fenster laufen Dir bis morgen früh schon nicht weg!", dann hieß es von Mariannes Seite her stets "Och nööö, solange Hannes arbeitet, solange muss ich einfach auch arbeiten. Ich hab´ sonst keine Ruhe!". Gern verwies Marianne auch darauf, dass für sie der Tag mit 24 eigentlich viel zu wenige Stunden hätte: "Ich weiß gar nicht, wie ich in dieser Zeit meine tägliche Arbeit schaffen soll...".
Zu den in diesem Nachbarschaftsreport beschriebenen Zu- und Umständen mag sich jeder so seine eigenen Gedanken machen - ich jedenfalls hab´ mir über Hannes und Marianne die meinigen schon lange gemacht. Auf alle Fälle scheint dieser "Virus" auf Menschen, die auf längere Sicht gesehen und dabei eindeutig zu nah an Hannes dran waren, durchaus übertragbar gewesen zu sein.

Die viele tägliche Bewegung an der frischen Luft als auch die Umstände, dass Hannes in seiner knapp bemessenen Freizeit a) gern mal durch den Wald lief oder in die Pedale trat sowie im Winter dem Skilang-, Abfahrts- und Torlauf frönte und (b) in seinem ganzen Leben nie auch nur eine einzige Zigarette geraucht hatte verhinderten jedoch nicht, dass Hannes vor ein paar Jahren an Parkinson erkrankte. Als ihn kurz hintereinander zwei Schlaganfälle trafen war´s das dann für ihn.
Ich selbst wohne seit fast 5 Jahren nicht mehr in der Straße, in der Hannes´ Haus und Grundstück stehen bzw. liegen. Somit kann ich auch nicht sagen, was aus Hannes´ Rasen inzwischen geworden ist. Vermutlich ist er mittlerweile entweder "nur" noch so gepflegt wie der in Wimbledon oder noch schlimmer. Ich weiß nur eines: Irgendwie vermisse ich die beiden schon ein wenig - den Hannes halt...und seinen ganz persönlichen heiligen Rasen!

Montag, 15. Juli 2013

Überlebensgarant Nr. 1 - das Brötchen!

Wenn man sich von Montag bis einschl. Samstag morgens zwischen 7 und 9 Uhr zwecks Erwerbs eines Kaltgetränks für den Tag oder auch gesundheitsschädigender und zu allem Überfluss auch noch impotent machender, dafür aber preisgünstiger Genussmittel namens Filterzigarillos - der gesundheitsbewusste Raucher trinkt zudem ausschließlich Filterkaffee - in eine dieser Discounterklitschen wagt, trifft man dort allmorgendlich auf eine recht stattliche Ansammlung besonderer bundesdeutscher Mitmenschen - die BrötchenholerInnen. Tagtäglich zur Geschäftsöffnung Punkt sieben oder acht Uhr steht diese Gattung dichtgedrängt vor den durch Plastikglas geschützten Fächern, in denen die hierin kühl gelagerten, unterschiedlich bekörnten (oder auch nicht) sowie frühmorgens von einer Marktangestellten aus irgendeiner Fertigmasse mittels eines praktischerweise gleich danebenstehenden entsprechenden Apparats aufgebackenen, kleinen und dabei mal mehr, mal weniger runden Brötchen/Rundstücke/Semmeln/Schrippen/Wecken/Bemmen der hungrigen Mäuler harren, durch die sie später in den menschlichen Verdauungsapparat befördert werden sollen.

Die Glücklichen, die bereits Zugriff auf die Brötchenfächer haben, stochern munter mit den extra dafür vorgesehenen Greifzangen in den Fächern ihrer Wahl herum, bis die gewünschte Anzahl der Objekte ihrer Begierde durch die meist eckigen Öffnungen am vorderen Brötchenfachbereich geplumpst ist und eingetütet werden kann. In anders konzipierten solcherartigen Anlagen kann der Brötchenholer auch mit einem Schiebeutensil in besagten Fächern rumstokeln, bis so ein endlich erwischtes Brötchen durch eine Art Mini-Falltür gesaust ist und ebenfalls aus vorerwähnter Öffnung in die Tüte befördert werden kann.
Ungeduldigere Zeitgenossen gehen auch mit bloßer Hand durch die Öffnungen und wühlen munter zwischen den Rundlingen herum, bis sie sich die gewünschte Anzahl als ausreichend groß/hell//mittel/dunkel genug erachteter Exemplare zusammengegrapscht haben. Bleibt hierbei zu hoffen, dass diese Brötchengrapscher sich zuvor daheim ausreichend die Hände gewaschen haben. Oder das sie sich kurz vorher draußen nicht an irgendwelchen "Igittigitt"-Körperbereichen gekratzt haben.
Mich erinnern diese "Grabbelkästen" jedenfalls immer an diese gläsernen Rummelplatz-Automaten, in denen Münzen hin- und hergeschoben werden.
Wie auch immer, nach jedem Plumpser, Sauser oder Grapscher wird das auserwählte Stück sofort in die eigens zu diesem Zweck parat liegende, meist bräunlich oder weißlich getönte Papiertüte mit aufgedrucktem Logo des betreffenden Einkaufsmarktes befördert. Der ordnungsliebende Deutsch-Mensch achtet hierbei selbstverständlich auf eine strikte Tütentrennung bei den einzelnen Brötchensorten.

Wenn man sich nun an solch einem Brötchenholer-Auflauf vorbeigequetscht hat, um sich mit seinem Kaltgetränk zwecks Bezahlung in Richtung Kasse zu begeben und/oder um dort die hier erhältlichen Dampfmacher zu erwerben, so trifft man im Kassenbereich erneut auf eine gesammelte, jedoch bereits fertig betütete Brötchenholerschaft. Der durchschnittliche Brötchenholer steht mit ca. Minimum 2 bis zu ungefähr 4 - 5, dafür bis oben an den Rand gefüllter Papiertüten vor uns an der Kasse. Sollte er in einer Doppelfunktion sowohl als Brötchenholer als auch als Brötchenmitbringer unterwegs sein, dann legt so ein Brötchenfreund im Schnitt zwischen 5 bis 8 solcher Tüten auf das Laufband. Wenn man Pech hat und dazu auch noch wenig Zeit, dann stehen meist immer 4 - 6 gleich in doppelter Mission agierender Brötchendeutsche vor einem. Glücklicherweise sind in den Tüten ausreichend große Sichtfenster mit eingebaut, sodass die Kassenkraft den Inhalt jeder einzelnen Tüte nicht "per Handbetrieb" nachzählen muss.
Kleiner Tipp am Rande: An Samstagen sind generell mehr Brötchenmitbringer auf Tour als an gewöhnlichen Werktagen!

Wenn man sich nun vor Augen hält, dass es während dieses angesprochenen morgendlichen Zeitraums ja nicht nur bei den Discountern, sondern auch in den Filialen der inzwischen weitverbreiteten Großbäckereien, an den Tankstellen sowie bei den - in den kleineren Ortschaften allerdings nur noch recht wenig betriebenen - "richtigen" Bäckereien nicht viel anders aussieht, dann kann man in etwa erahnen, wie gigantisch die Zahl der Brötchenholer allmorgendlich sein muss.
Da, wo der Brötchenholer nicht selbst Hand anlegen kann oder darf und eine - meist gering entlohnte - Verkaufskraft zur Erfüllung seiner Wünsche bereit steht, kann man übrigens auch den einen oder anderen Rumpuper gleich mit beobachten. Denn nicht selten ist die eine, ganz bestimmte Brötchensorte, die ausgerechnet heute sooo dringend benötigt wird, entweder gar nicht im Sortiment enthalten oder gerade eben zum aufbacken in den Ofen geschoben worden, sodass sie erst in ca. 20 Minuten wieder verfügbar sein wird. In diesen Fällen wird die arme Verkaufskraft dann entsprechend angepupt. Das verhält sich bei den diversen Brotsorten aber auch nicht anders.

An Sonn- und Feiertagen weichen unsere Brötchenholer wegen der an diesen Tagen geschlossenen Groß- und Discounterbäckereien geschlossen auf Tankstellen mit angeschlossener Aufbackerei aus.
Bei Wind und Wetter, ob´s stürmt oder schneit - der überzeugte Brötchenholer lässt sich von nichts abschrecken; und sonn- und feiertags schon mal gar nicht. Da wird selbst bei extremsten Witterungs- und Straßenverhältnissen auf Teufel komm raus mit dem fahrbaren Untersatz zur Brötchen-Tankstelle geschlichen, gerutscht und geschlittert. Sonn- oder Feiertag ohne Sonn- oder Feiertagsbrötchen? Niemals!Wo gibt´s denn sowas?

Als Mitarbeiter einer Tankstelle mit Backwarenverkauf bekommt man es häufig mit noch spezielleren Brötchenholern zu tun. Eine halbe Stunde, nachdem man um 4 Uhr früh die erste Rutsche Brötchenbleche in den Ofen geschoben hat, vernimmt man von der gläsernen Eingangstür her laute Klopfgeräusche (somit eineinhalb Stunden vor der, an der Tür übrigens deutlich lesbaren, offiziellen Aufnahme des Geschäftsbetriebs um 6 Uhr früh). Man entsperrt daraufhin die Schließautomatik der Tür, um nachzusehen, wo diese hektischen Klopfzeichen herrühren. Sobald man den Kopf auch nur einen cm rausgestreckt hat, schallt einem umgehend ein lautes "Sind schon Brötchen fertig?" entgegen. Das natürlich ohne "Guten Morgen" vorweg. Es ist zwar stockdunkel, das Licht draußen im Bereich der Zapfsäulen ist noch ausgeschaltet und auch drinnen im "Geschäftslokal" leuchtet nur die spärliche Nachtbeleuchtung. Das hindert so einen Brötchen-Extremisten aber absolut nicht, den Hase Klopfer zu geben und energisch nach Brötchen zu rufen.
Bis 6 Uhr laufen zwischendurch immer wieder noch weitere solcher Brötchenhektiker auf. Und bei der Gelegenheit nehmen sie alle auch gleich noch ein Exemplar der Zeitung mit den 4 großen Buchstaben mit, auch wenn (oder gerade weil) die noch in ungeöffneten Packen verschnürt und eingewickelt vor dem Zeitungsregal liegen. Hierbei dürfte vor allem eine entsprechende Mundpropaganda eine Rolle spielen: "Da kannste ruhig schon um halb fünfe hingeh´n. Die haben dann schon die ersten Brötchen fertig und ´ne B...Zeitung kriegste dann auch schon.". Nun könnte der Tankstellenangestellte ja darauf hinweisen, dass erst um 6 Uhr geöffnet wird. Aber irgendwann hat auch der hartgesottenste "Tankler" von dem Rumgepupe, das ein derartiger Hinweis unweigerlich nach sich zieht, die Nase gestrichen voll und knickt dann zwangsläufig aus Selbstschutzgründen ein.

Stressig wird´s für einen Tankstellenmitarbeiter ab dem späten Samstagnachmittag sowie während des weiteren Verlaufs des Abends bzw. einem Spätnachmittag vor Feiertagen. Alle naselang klingelt das Telefon und es werden Brötchen-Bestellungen für den kommenden Morgen auf- und durchgegeben. "Ich würde dann für morgen früh um 7.30 Uhr 5 `normale´, 4 Mohn, 3 Mehrkorn und 5 Sesam bestellen. Bei den `normalen´ bitte 3 schön braun, eins mittel und eins etwas heller!". Natürlich erscheint der telefonische Besteller am nächsten Morgen in der Regel nicht, wie verabredet, um 7.30 Uhr, sondern bereits zwischen 7 und 7.15 Uhr. Und wenn die Dinger dann noch nicht fertig sind wird - na was wohl? - erst mal rumgepupt. Oder es klingelt erneut das Telefon und eine in höchster Erregung befindliche Stimme bemängelt, dass statt aller 3 aber nur 2 "normale" schön braun seien...oder das mittlere nicht mittel genug...oder das helle zu dunkel. Oder zu hell. Es kann aber auch vorkommen, dass so ein brötchengeiler Beschwerdeführer noch einmal persönlich vorspricht und dem "Tankler" die kritikwürdigen Brötchen zwecks sichtbarer Beweisführung direkt vor oder unter die Nase hält.

Und so drängt sich zwangsläufig die Frage auf: Wie konnte die deutsche Menschheit früher, als Brötchen ausschließlich beim lokalen Bäcker und das auch nur von Montag bis Samstag erhältlich waren (auch der Bäcker hatte nämlich am Sonntag und an den Feiertagen zu), eigentlich überleben? Discounter waren damals in der Fläche recht rar gesät und wenn, dann waren sie zumeist am Rande der ganz großen Großstädte angesiedelt. Regionale Großbäckereien mit zig Filialen gab es ebenfalls nicht und an der Tankstelle konnte man außer Kraftstoff, Schmiermitteln und Kfz-Zubehör wie Eiskratzer, Warndreieck, Verbandskasten, destilliertes Wasser usw. ebenfalls nichts anderes weiter erwerben - wenn, dann höchstens noch Zigaretten und eine Tageszeitung.
In jener Zeit gab es bei unsereins unter der Woche sowieso keine Brötchen zum Frühstück. Samstags, gut, da wurden auch mal Brötchen auf den Frühstücksteller gelegt, aber auch nicht unbedingt an jedem. Ansonsten gab´s Graubrotscheiben, auf welche dann Marmelade, Wurst/Aufschnitt oder Käse geschmiert oder gelegt wurden. Und da bekanntlich nicht erhältlich gab´s eben auch sonn- und feiertags keine Brötchen, sondern ggf. mal eine "süße Semmel", in anderen Gegenden auch als "Stuten" bekannt.

Wenn ich mir diese fanatischen Brötchenholer jeden Tag so anschaue, dann habe ich irgendwie den Eindruck, dass für den Deutsch-Menschen das Brötchen inzwischen den Garanten fürs Überleben überhaupt darstellt. Dabei steht es in der Wertigkeit bestimmt mindestens auf einer Stufe mit der TV-Fernbedienung, dem Mobiltelefon und anderem Technik-Spielzeug für junge und junggebliebene Deutsch-Menschen (oder die, die sich dafür halten). Da drängt sich automatisch eine weitere Frage auf: Was, wenn es aus irgendwelchen Gründen (Wirtschaft total zusammengebrochen, globale Katastrophen/Epidemien etc.) auf einmal keine Brötchen mehr zu kaufen geben sollte - weder wochen- noch sonn- noch feiertags? Müssen die Deutsch-Menschen dann vielleicht sogar aussterben?

Huch, jetzt hätte ich mich beinahe verplaudert. Ich muss nämlich mal eben dringend weg - ganz schnell noch´n paar Brötchen holen...

Samstag, 13. Juli 2013

Eine ganz besondere Unterart des Deutsch-Menschen: Der Rumpuper

Unter unseren lieben Mitbürgerinnen und Mitbürgern gibt es eine ganz spezielle Gattung, nämlich den sog. Rumpuper. Glücklicherweise hat sich Dietmar Wischmeyer bereits vor einiger Zeit seine eigenen Gedanken über den Rumpuper gemacht. So muss ich diesen Zeitgenossen hier nicht ausführlich beschreiben, zumal heute ja Samstag ist. Ein paar kurze generelle Anmerkungen - resultierend aus eigenäugig und -ohrig getätigter und dabei nicht immer ganz so freiwilliger genauerer Beobachtung des Rumpupers aus nächster Nähe - dennoch schnell vorweg: Der Rumpuper ist überwiegend männlich, ein großer Grundstücks- und Gartenliebhaber und befindet sich altersmäßig zwischen seinen gehobenen mittleren und letzten Lebensjahren. Der Rumpuper hat - vor allem, wenn er sich im seiner eigenen Auffassung nach wohlverdienten Ruhestand befindet - im Grunde genommen so gut wie keine, aber trotzdem immer noch eindeutig viel zu viel Zeit. Denn sonst würde er seine Mitmenschen ja nicht so kritisch-wachsam beäugen können - und infolge dessen dann rumpupen.
Nun lassen wir aber Dietmar Wischmeyer seine Erfahrungen mit dem Rumpuper zum Besten geben:

http://youtu.be/Qhsx6ujmq1c


Donnerstag, 11. Juli 2013

Beobachtungsobjekt: Der Deutsch-Mensch

Wie allgemein bekannt sein dürfte leben in diesem "unserem" Lande grob über den Daumen gepeilt ca. 80 Millionen Menschen. Die überwältigende Mehrheit davon gehört der Bevölkerungsgruppe der sog. Deutschen, allgemein auch als "BundesbürgerInnen" bekannt und von ihren Politikern bei gegebenen Anlässen bevorzugt "Liebe Wählerinnen und Wähler" genannt, an. Auch wenn sich diese gewaltige Zahl aus verschiedenen "deutschen Volksstämmen" mit speziellen regionaltypischen Sitten und Gebräuchen, vermeintlich eigenen Mentalitäten und mit für den Uneingeweihten teilweise recht seltsam klingenden Dialekten zusammensetzt, so wird diese zahlenmäßig weitaus größte Bevölkerungsgruppe bundesländerübergreifend von einem ganz besonderen Exemplar dominiert: dem Deutsch-Menschen.

Der Deutsch-Mensch als solcher ist wohl eines der rätselhaftesten und in sich widersprüchlichsten Lebewesen überhaupt, das "unseren" Planeten bevölkert. Man könnte beinahe sagen: Es gibt Menschen - und es gibt den Deutsch-Menschen.
Schauen wir uns zur Verdeutlichung einfach mal ein paar charakteristische Besonderheiten dieser Spezies an:
Der Deutsch-Mensch selbst bezeichnet sich zumeist als "ehrlicher, aufrechter/anständiger und hart arbeitender Steuerzahler", wofür er als Kurzbezeichnung auch "braver Bürger" verwendet. Ebenso nimmt er vorwiegend Ehrentitel wie "Normalbürger", "Durchschnittsbürger", "Angehöriger der Mittelschicht" oder, bei individuell innewohnender Bescheidenheit, auch "einfacher Bürger" für sich in Anspruch. Stehen, sitzen oder liegen zwei oder mehr Deutsch-Menschen beisammen, beanspruchen diese als Sammelbezeichnung für sich und ihresgleichen auch "Das Volk". Viel lieber aber noch "Das deutsche Volk".
So ein "braver einfacher Mittelschichtsanstandsbürger" bevorzugt es demzufolge der Einfachheit halber auch, in einer möglichst einfachen Welt zu leben, und zwar in seiner eigenen. In dieser kleinen Welt gibt es nur schwarz und weiß, gut und schlecht bzw. böse, dazwischen gibt es für ihn nichts weiter. Ein "sowohl als auch" lehnt er jedenfalls kategorisch ab. Natürlich ist er selbst und dazu dann noch seine Familie - so er denn eine hat oder sich nicht mit ihr verkracht haben sollte - der absolute Mittelpunkt der Erdkugel und um genau diesen hat sich alles rundherum zu drehen und nicht andersrum.

Als Symbolfigur für den Deutsch-Menschen wird in Karikaturen häufig ein Männchen mit Zipfelmütze benutzt. Nicht ganz zu Unrecht könnte man diese Zipfel- wohl auch als Schlafmütze interpretieren. Die Interpretation von künstlerischen Werken liegt aber eh im ganz persönlichen Auge des jeweiligen Betrachters, also lassen wir die Schlafmütze jetzt einfach mal so im Raum stehen.

Der Deutsch-Mensch zeichnet sich durch die beinahe mit Tränen der Rührung in den Augen praktizierte Anbetung der sowohl weltberühmten als auch selbstgerühmten deutschen Tugenden wie Fleiß, Ehrlichkeit, Pünktlichkeit, Sauberkeit, Ordnungsliebe und Anständigkeit aus. Die heiligste aller Tugenden aber ist für ihn die vom Schulabgang bis zum Renteneintritt ununterbrochen getätigte Ausübung einer geregelten Arbeit.
Der Deutsch-Mensch erwartet aber auch und gerade von den in "seinem" Land lebenden Nicht-Deutsch-Menschen, dass sie diese vermeintlich typisch deutschen Tugenden noch weitaus stärker zu lieben und zu beherzigen hätten als er selbst. Er selbst hingegen darf bei der praktischen Anwendung dieser Tugenden dann aber hin und wieder schon mal ein bisschen mogeln.

Fährt der Deutsch-Mensch einmal jährlich für 14 Tage zwecks Erholung vom stressigen Arbeitsleben zuzüglich Wiederherstellung seiner Arbeitskraft in den Auslandsurlaub - wegen des in "seinem" Land auch im Sommer oftmals herrschenden ungetrübten Sonnenscheinmangels dann bevorzugt in südlichere Gefilde -, um dort neben Sonne, Sand und Meer ganz nebenbei zur eigenen Horizonterweiterung auch noch andere Menschen samt ihrer landesüblichen Speisen, Mentalität, Kultur und Lebensgewohnheiten kennenzulernen, so legt er gerade dort bei den "Levantinern" strikt seine deutsch-menschlichen Tugendmaßstäbe an.
Nicht selten versucht er dabei unermüdlich, "diese trägen Südländer" zu eben jenen Tugenden zu bekehren: "Bedienung! Da is´n Fleck auf der Tischdecke! Legen Se da mal gefälligst schleunigst ´ne neue auf!", "Also, Herr Portier! Es ist jetzt 10 Uhr und unser Zimmer wurde immer noch nicht sauber gemacht! Das ist ja wohl unerhört/nicht normal, oder was? Bei uns zuhause in Deutschland gibt´s sowas jedenfalls nicht!", "Nu hör´n Se mal ganz gut zu, Sie LadenbetreiberIn: Wenn da steht, um neune wird das Geschäft aufgemacht, dann heißt das gefälligst auch Punkt neune und nich´ 5 nach! Capito?", usw.
Selbstverständlich erwartet der Deutsch-Mensch von seinen Urlaubsgastgebern, dass sie der deutschen Sprache zumindest so weit mächtig sind, dass sie seine Wünsche vollständig und prompt zu erfüllen in der Lage sind. Von ausländischen Touristen, die in "seinem eigenen" Land weilen, erwartet er allerdings ebenfalls die wichtigsten deutschsprachigen Grundkenntnisse. Naja, und das ein Auslandsurlaub ohne traditionelle deutsche Hausmannskost wie Jägerschnitzel mit Pommes, Kartoffelpuffer, Bratcurry und deutsches Bier für den Deutsch-Menschen eigentlich gar kein richtiger Urlaub ist, dürfte sich sowieso von selbst verstehen.

Tief in seinem Inneren ist der Deutsch-Mensch ein eher ängstliches Wesen. So hat er z.B. große Angst vor allem, was ihm fremd erscheint und was er nicht versteht. Manches kann er einfach nicht verstehen, manches will er aber auch gar nicht erst verstehen. Vor allem, was ihm zuhause in diesem "seinem" Land als "fremd" dünkt und auf ihn irgendwie "anders" - also Nicht-deutsch-menschlich - wirkt, hat er mächtig Angst. So empfindet er von daher alles auf ihn selbst "fremd-" und "andersartig" wirkende als enorme Bedrohung für sich und seine kleine überschaubare Welt.
Seine Hauptangst aber ist es, nicht mehr zur Gemeinschaft der Deutsch-Menschen dazu zu gehören. Oder noch schlimmer: Nicht mehr dazu gehören zu dürfen. Hierbei stellt es für ihn die größte aller Schanden überhaupt dar, wenn jemand seines Arbeitsplatzes verlustig geht. Ihm selbst hingegen kann derartiges seiner eigenen felsenfesten Überzeugung nach natürlich niemals passieren - er ist in seinem Betrieb halt unersetzlich - und darum ist aus seiner Sicht jeder Arbeitslose an seinem Schicksal letztlich selber schuld. Das verhält sich in etwa wie mit Krebs, dem plötzlichen Herztod oder Alzheimer: So etwas passiert in seiner Gedankenwelt auch immer nur den anderen - er selbst ist dagegen selbstverständlich vollkommen immun.
Um nun völlig auf Nummer Sicher zu gehen, dass sie genau dieses Arbeitsplatzverlustschicksal plötzlich und unerwartet nicht doch noch ereilen könnte, bedienen sich zahlreiche Deutsch-Menschen einer ganz speziellen sportlichen Übung - dem sog. "Radfahren", also nach oben buckeln und nach unten treten. Auch das inzwischen recht populär gewordene "Mobben" von Arbeitskollegen erfolgt ausschließlich aus reinen Gründen des Selbst- bzw. Arbeitsplatzschutzes heraus. Und somit ist das alles eigentlich ja überhaupt nicht persönlich, gar nicht soooo und vor allem nicht böse gemeint. Und nichts weiter dabei gedacht hat sich Deutsch-Mensch selbstverständlich auch.

Überhaupt fühlt sich der Deutsch-Mensch in seinem Alltagsleben, wohl nicht zuletzt durch besagte ureigenen Ängste mitbedingt, von Feinden umzingelt: Kollegen, Nachbarn, alle anderen Kraftfahrzeugführer, "Ausländer" - Feinde allüberall und rundumher, so weit das deutsch-menschliche Auge nur reicht. Kurzum - der Deutsch-Mensch liebt zwar nicht seine Feinde, aber er liebt es, Feinde zu haben. Er braucht sie einfach. So völlig ohne macht ihm das Leben vermutlich keinen Spaß.

Der Deutsch-Mensch benötigt zum persönlichen Druck-und Frustabbau neben seinen "geliebten Feinden" auch immer wieder Sündenböcke, denen er die Schuld an seinem vermeintlich oder auch tatsächlich viel zu geringem Lohn/Gehalt, den viel zu hohen Preisen und Steuern usw. in die Schuhe schieben kann. Hierbei bevorzugt er in erster Linie Angehörige von Bevölkerungsgruppen, die tagtäglich quasi vor seiner eigenen Haustür anzutreffen und die aus seiner Sicht nicht oder nicht mehr der Deutsch-Menschen-Gemeinschaft zugehörig sind. Seine favorisierten Sündenböcke müssen also für ihn direkt sicht- und greifbar sein. Das ist in etwa wie an der Tankstelle: Da der zahlende Kunde an die Ölmultis und sonstigen eigentlich Verantwortlichen nicht rankommt, bekommt eben der unschuldige Kassierer dessen Zorn über die aktuelle Benzinpreiserhöhung ab.
Besonders "die Ausländer" und "die Arbeitslosen" stellen für viele Deutsch-Menschen die als am besten geeignet erscheinenden Sündenböcke dar. Dieses nicht zuletzt auch dank intensiver Beeinflussung durch jahrelanges gezieltes hegen und pflegen entsprechender Negativ-Klischees und das bewusste schüren von althergebrachten Stammtisch-Vorurteilen durch gewisse Politiker und Medien. Als standesbewusster Deutsch-Mensch spricht er über solche Nicht-Deutsch-Menschen zudem gern in der dritten Person: Anreden wie "Die da" und "So einer/So einen" helfen ihm zudem immer wieder dabei, sich selbst die eigene Zugehörigkeit zur "Wir hier - Die da"-Fraktion zu bestätigen sowie für die anderen Mit-Deutsch-Menschen deutlich erkennbar von diesen Deutsch-Mensch-unwürdigen Gruppen abzugrenzen.
Da diese "Sündenbock-Marotte" hierzulande eine jahrhundertealte traurige Tradition mit teils furchtbaren Folgen für die jeweils auserkorenen Sündenböcke vorzuweisen hat, dürfte sie sich mittlerweile in Form eines "Sündenbock-Syndroms" als regelrechter innerer Zwang im deutsch-menschlichen Hirn eingenistet haben.

Seine ihm angeborene oder auch anerzogene Angst, bei entsprechendem Fehlverhalten weiter "oben" evtl. anzuecken, lässt den Deutsch-Menschen an einer intensiveren Beobachtung politischer und gesellschaftlicher Vorgänge, Entwicklungen, Entscheidungen und Hintergründe eher nur leicht interessiert bis komplett desinteressiert sein. "Interessiert mich nicht. Ich will abends meine Ruhe haben, mich entspannen, mich unterhalten lassen und mich nicht mit diesem Mist beschäftigen. Die da oben werden schon wissen, was sie machen und was am Ende das Beste für uns alle ist!" - Punkt, Aus, Ende.
Darum ist der gewöhnliche Deutsch-Mensch von seiner politischen Grundausrichtung her auch nirgends so richtig einzuordnen. Er ist von allem ein bisschen, also eine Rechts-Mitte-Links-Mischung, wobei das Pendel bei bestimmten Themen gern etwas stärker nach rechts tendiert. So findet der Deutsch-Mensch z.B. Demokratie eine gute Sache. Und er selbst ist natürlich sowieso aus tiefster Überzeugung Demokrat. Dennoch ruft er zwischendurch ganz gern nach einem "starken Mann", der "hier mal wieder so richtig aufräumt".

Soziale Gerechtigkeit findet der Deutsch-Mensch extrem wichtig für den gesellschaftlichen Zusammenhalt. Allerdings ist er nicht bereit, in Bezug auf die praktische Umsetzung dieser Gerechtigkeit mit sozial Schwächeren zu teilen bzw. etwas abzugeben. Fernerhin wählt er aus alter Gewohnheit immer die Parteien, die mit sozialer Gerechtigkeit nur wenig bis gar nichts (mehr) am Hut haben.
Ein weiteres Beispiel: Im Prinzip ist der Deutsch-Mensch für einen flächendeckenden gesetzlichen Mindestlohn, wählt aber stets aufs Neue die alten Parteien, die diesen nur maximal halbherzig oder auch gar nicht einzuführen gedenken. Diejenigen aber, die diesen Mindestlohn ernsthaft einführen wollen, bekommen seine Stimme aber auch hier wieder gerade nicht, weil die nun mal ansonsten nicht ausreichend deutsch-menschlich und von daher einfach "Bäh" sind. Außerdem wird im Fernsehen, im Radio und in der Zeitung immer wieder von sog. "Experten" vor denen gewarnt und ausdrücklich betont, dass die unwählbar sind. Weil das nämlich schlecht für die Wirtschaft und somit für die gesamte Bevölkerung sei, wenn die zu viele Stimmen bekämen und darum etwas mehr zu sagen hätten - sagen die Experten. Und dann wählt WählerIn Deutsch-Mensch die auch nicht. Eben weil das all diese ach so "klugen" Köpfe immer wieder sagen. Oder weil´s andauernd genau so in der Zeitung steht. Oder im Fernsehen gesagt wird. Oder im Radio. Und die müssen das schließlich wissen.

Der Deutsch-Mensch zieht es, nicht selten aus Bequemlichkeitsgründen, sowieso vor, sich seine Meinung BILDen zu lassen. Das ist nun mal nicht so anstrengend, als sich selbst seinen Kopf machen zu müssen. Und einfache Schlagzeilen, knappe Schlagworte und simple, die niederen Instinkte stimulierende Presseartikel und TV-Berichte passen eh viel besser zu seiner bzw. in seine einfache kleine Welt. Sich aus verschiedenen Quellen zumindest ab und zu mal ein wenig umfangreicher zu informieren, das ist für den Bewohner dieser einfachen kleinen Welt viel zu umständlich und kompliziert.
Von den einschlägig bekannten Hauptnachrichtensendungen und politischen Plapperrunden im Fernsehen fühlt sich unser Deutsch-Mensch sowieso und generell bestens, ausführlich und umfassend informiert. Und schon ist er das perfekte Opfer für entsprechende Manipulationen im Sinne daran interessierter und davon profitierender Kreise. Auf die Idee, dass derartiges auch in der hiesigen Medienlandschaft an der Tagesordnung ist, kommt er nämlich gar nicht erst. Das würde ja schließlich seine kleine Welt erschüttern und davor hat er - auch hier wieder - schlicht und einfach Angst. Und so lässt sich unser Deutsch-Mensch mit Begeisterung gegen bestimmte Bevölkerungsschichten - unter Umständen aber auch gegeneinander - aufhetzen und ausspielen, ohne dass er es überhaupt bemerkt. Oder er bemerkt es in seinem Hinterstübchen schon irgendwie, macht aber trotzdem mit. Weil er ja schließlich auch weiterhin "dazu" gehören will.

Höchste Bewunderung und Anerkennung zollt der Deutsch-Mensch "höhergestellten" Persönlichkeiten, die in den Augen und Ohren führender Medien und somit automatisch auch in den seinigen mutig vermeintlich unbequeme Wahrheiten offen an- und aussprechen. Erst recht, wenn diese "Wahrheiten" sein mühsam selbst zurecht gezimmertes oder von anderer Stelle eingepflanztes Welt- und Nicht-Deutsch-Menschenbild bestätigen. Als aufmerksamer Zuhörer seines persönlichen "Wahrheits-Apostels" begründet der Deutsch-Mensch die Weiterverbreitung dieser "Wahrheiten" mit einem vorwurfsvoll betonten "Das wird man in diesem Land ja wohl noch sagen dürfen!".
Auch wenn noch so krude Thesen unters Volk gebracht werden und diese nach und nach hieb- und stichfest widerlegt werden - auf seinen "unbequemen Wahrheitsverkünder" lässt der Deutsch-Mensch nichts kommen. Je stärker dieser "Wahrheits-Heiland" samt seiner "unfrohen Botschaft" von der Gegenseite argumentativ in die Enge getrieben wird, desto kleinkindartiger reagiert der Deutsch-Mensch darauf. Bockig und trotzig mit fest auf den Boden aufstampfenden Fuß verteidigt der Deutsch-Mensch sein angehimmeltes Idol in wackerer "Jetzt erst recht"-Manier: "Und er hat trotzdem Recht... so, ätsch!".
Der Deutsch-Mensch neigt halt sehr dazu, nur das zu sehen, zu lesen und zu hören, was er sehen, lesen und hören will - und das muss nun mal unbedingt in seine bereits erwähnte Deutsch-Menschen-Sichtweise passen. Und wenn´s denn ggf. mal nicht so ganz passen sollte, dann wird´s halt passend gemacht.

Ein hohes und schützenswertes Gut ist dem Deutsch-Menschen das Recht auf freie Meinungsäußerung. Allerdings gesteht er dieses Recht hauptsächlich nur sich selbst und denjenigen zu, die seine eigene Meinung teilen. Andersdenkenden und Andersmeinenden würde er dagegen am liebsten den Mund verbieten (lassen). Sehr schön beobachten kann man das in den Kommentarbereichen der online-Ausgaben unserer sog. Leit- und Qualitätsmedien sowie in denen der diversen Internetforen und Blogs mit politischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Themenschwerpunkten. Hartnäckig Andersmeinenden wird da im Extremfall von dem einen oder anderen "aufrechten und anständigen" sowie bedingungslos für die Meinungsfreiheit eintretenden Deutsch-Menschen via Tastatur auch schon mal körperliche Gewalt angedroht, wenn diese - seiner lediglich aus dem bisher Geschriebenen gewonnen Erkenntnis nach -"linken Spinner nicht endlich ihre verdammte Fresse halten".
Auf die gleiche Art verfährt der Deutsch-Mensch dann konsequenterweise auch im Umgang mit dem Begriff "Toleranz".

Im Alltagsleben erkennt man den durchschnittlichen Deutsch-Menschen an bestimmten, ihm eigenen Verhaltensmustern. Er geht außerhalb seiner Behausung häufig mit leicht vorgeneigtem Oberkörper und Kopf einschließlich gesenkten Blicks durch die Landschaft. Nicht wenige Exemplare latschen auch mit hängenden oder nach unten durchgedrückten Schultern, so als ob sämtliche Lasten dieser Welt auf ihnen ruhen würden, durch die Gegend. Wieder andere Vertreter dieser Spezies bevorzugen beim außerhäuslichen gehen auch beide Varianten gleichzeitig. Deutsch-Mensch versucht dazu auch stets, seinen Mit-Deutsch-Menschen gegenüber so angepasst und dadurch so unauffällig wie nur möglich zu erscheinen.

Der Deutsch-Mensch ist ein gnadenloser Verfechter von Recht und Ordnung. Der Deutsch-Mensch hat immer Recht, ist immer im Recht und sowieso hat er auf alles ein, nämlich sein, "gutes Recht". Und so verhält er sich dann auch, egal ob beispielsweise im Berufsleben, im nachbarschaftlichen Verhältnis, im Einkaufsmarkt oder im Straßenverkehr. Treffen zwei Deutsch-Menschen aufeinander, die bei Differenzen untereinander beide vermeinen, Recht zu haben oder im Recht zu sein, wird mit harten Bandagen gekämpft, um auf Teufel komm´ raus das vermeintliche eigene "gute Recht" durchzusetzen. Notfalls werden, falls auf herkömmlicher zwischenmenschlicher Kommunikationsebene keine beiden gerecht werdende Lösung gefunden werden konnte oder wollte, selbst wegen Lappalien gerichtliche Wege bis zur allerletzten Instanz beschritten.
Der Deutsch-Mensch neigt des weiteren dazu, anderen vorschreiben zu wollen, wie diese zu leben hätten, wieviel Geld ihnen für was monatlich zustehen würde und wofür diese anderen jenes Geld auszugeben hätten bzw. wofür nicht. Das sei nämlich sein gutes Recht, denn er als schwer schuftender Steuerzahler würde schließlich diese "ganze Schmarotzerbande" ganz allein mit durchfüttern. Unter Verwendung dieses Arguments macht er sich dann auch immer wieder mal so seine eigenen Gedanken, wie "der Staat diesem faulen Pack hier bei uns und da unten in Südeuropa endlich mal so richtig Feuer unterm Arsch machen" könnte. Beim ausdenken von Repressalien gegen diese von ihm abgrundtief verachtetenden Nicht-Deutsch-Menschen ist er recht erfindungsreich und als von seinen eigenen Vorschlägen Nicht-Betroffener dabei selbstverständlich auch ziemlich rigoros, gelegentlich auch radikal. Aber auch das ist ja bekanntlich "sein gutes Recht".

Weiterhin ist der Deutsch-Mensch ein unverbesserlicher Nostalgiker. Manch heutzutage als eigentlich überholt geltende bzw. als längst überwunden geglaubte alte Tradition aus 2. und 3.Reich pflegt er auch heute noch unverdrossen: Obrigkeitshörigkeit, Untertanengeist, Pflichtbewusstsein/Pflichtgefühl, Gehorsamkeit, Zucht, Ordnung und Disziplin, Übereifer und Gründlichkeit z.B.
Wenn der Deutsch-Mensch also etwas macht, dann macht er das gründlich. Und wenn dabei, natürlich nur den allgemeinen Umständen geschuldet, menschliche Sauereien vorkommen sollten, dann werden die ebenfalls gründlich erledigt, das aber noch besonders. Und wenn er was besonders gründlich versaut hat, dann hat der Deutsch-Mensch damit einfach nur seine Pflicht getan. Außerdem hat er sich beim versauen stets an gerade geltendes Recht, rechtsgültige Gesetze sowie an zusätzlich erlassene Erlässe, Verordnungen, Bestimmungen und an ex- und interne Dienstanweisungen gehalten. Und von den ganzen Schweinereien, die in Wahrheit dahintersteck(t)en, hat er sowieso nie etwas gewusst geschweige denn überhaupt ahnen können. Dienst ist Dienst, Schnaps ist Schnaps, Pflicht ist Pflicht, Befehl ist Befehl, Gesetz ist Gesetz. Dazwischen gibt es nichts, basta! Also komme man bloß nicht oberklugscheißerisch mit solch widernatürlichen Sachen wie Handlungs- und Ermessensspielraum oder gar Humanität und Gewissen daher!
Man kann also davon ausgehen, dass die Hege und Pflege der oben genannten Traditionen den Deutsch-Menschen zumindest vorübergehend blind und taub machen können. Aber das empfindet er nicht zwingend als unangenehm, vor allem dann nicht, wenn er mal wieder was besonders gründlich versaut hat und sich dafür verantworten soll.
In seinem Übereifer tendiert der Deutsch-Mensch zusätzlich zu vorauseilendem Gehorsam. Hierbei schlägt er dann auch schon mal etwas stärker über die Stränge, was sich besonders auf Nicht-Deutsch-Menschen auf recht unangenehme Weise auswirken kann. Aber auch hierbei geht es dem Deutsch-Menschen letzten Endes lediglich darum, bei der praktischen Umsetzung des jeweils geltenden Rechts und Gesetzes pflichtgemäß behilflich zu sein. Ist selbstverständlich auch hier alles nichts persönliches und schon gar nicht bös´ gemeint!
Durch diesen Nostalgiefimmel in seiner allgemeinen Wahrnehmung beeinträchtigt ist es für den Deutsch-Menschen sehr schwierig, aus Fehlern der Vergangenheit die richtigen Schlüsse zu ziehen oder gar daraus zu lernen. In der Regel merkt er nämlich gar nicht, dass er dieselben Fehler wie einige Jahrzehnte zuvor erneut begeht. Diese begeht er dann allerdings schon in einer dem jeweiligen Zeitgeist angepassten "modifizierten" Form.

Der Deutsch-Mensch ist ein glühender Verfechter der sog. christlich-abendländischen Kultur sowie der christlichen Wertegemeinschaft. Von aus anderen Kulturkreisen oder Religionsgemeinschaften entstammenden und/oder diesen zugehörigen Mitbewohnern "seines" Landes verlangt er deshalb auch stets, diese mögen sich gefälligst an genau diesen Werten orientieren und sich ihnen unterordnen bzw. anpassen. Das er es mit der praktischen Umsetzung jener ach so viel beschworenen christlichen Werte selbst nicht gar so genau nimmt, das merkt er in der Regel allerdings nicht. Mit dem eigenen vorleben und umsetzen ur-christlicher Werte wie Demut, Bescheidenheit, Nächsten- und Feindesliebe, Barmherzigkeit und ähnlichem tut er sich in seinem Alltagsleben gewöhnlich sehr schwer. Nur zur Weihnachtszeit, da wird er dann doch ein bisschen sentimental und pflegt daheim 3 Tage lang die Besinnlichkeit.
Die eine oder andere neutestamentliche Passage hat der Deutsch-Mensch aber durchaus verinnerlicht. So sieht er stets den Splitter im Auge des anderen, übersieht aber den oftmals gewaltigen Balken im eigenen Guckerchen (dieser Vergleich wurde später auch in Form von "den Schmutz vor der Haustür des anderen wahrnehmen, den Dreck vor der eigenen jedoch nicht sehen" ein wenig aufgepeppt). Ferner beherzigt der christlich-abendländische Deutsch-Mensch unerschütterlich den - ebenso wie der vorangegangene - dem unfreiwilligen Religionsgründer Jesus von Nazareth zugeschriebenem Satz "Ihr habt Augen und sehet nicht, und habt Ohren und höret nicht, und denket nicht daran". In neuerer Zeit werden als treffendes Symbol für dieses Verhaltensmuster die allseits bekannten 3 Affen verwendet. Gängige Kurzbegriffe für die vorgenannten Deutsch-Mensch-Religionspraktiken lauten auch "Scheinheiligkeit" und "Doppelmoral".

Der Deutsch-Mensch liebt schlechte Nachrichten und Katastrophen über alles - vor allem jene schlechten Nachrichten, die ihn persönlich nicht betreffen und die Katastrophen, die sich nicht gerade vor oder in der Nähe seiner eigenen Haustür ereignen. Gebannt schaut er im Fernseher auf die Bilder der Folgen von Erdbeben, Tornados, Hochwasser und ähnlicher Sensationen. Er verspürt dann oftmals ein inneres Glücksgefühl, das sich mit "Puh, zum Glück nicht hier" oder "Betrifft glücklicherweise nicht mich" recht gut umschreiben lässt. Im Allgemeinen ist der Deutsch-Mensch von heute zwar weitestgehend empathiebefreit, aber medialen Aufrufen zu großangelegten Spendenaktionen befolgt er schon ganz gern mal. Vor allem wenn er sich berechtigte Hoffnungen darauf machen kann, dass sein Name bei einer Fernseh-Spendengala auf einem Laufband durch den unteren Bildschirmrand huschen könnte, fühlt sich sein Spender-Herz aufgefordert, die Not "der armen Menschen da unten/da drüben" durch einen mehr oder weniger großen bzw. kleinen Betrag lindern zu helfen. Zum einen bekommt sein Gewissen dadurch eine Beruhigungspille verabreicht und zum anderen ist er, wenn sein Name durchs Bild rauscht, für 2 Sekunden im Fernsehen und somit prominent - auch wenn´s außer ihm kaum ein Zuschauer sonst mitbekommen hat. Die, die nichts gegeben haben und die, deren Name bereits erschienen ist, gucken da jedenfalls sowieso nicht bzw. nicht mehr hin.
Natürlich stürzt der edle Spender nach seinem Namensdurchlauf umgehend ans Telefon, um nahen Verwandten, engen Nachbarn und dicken Freunden diese gewaltige Neuigkeit mitzuteilen oder um gänzlich uneitel nachzufragen "Haste eben gesehen...im Zweiten...?".

Sportbegeistert ist der Deutsch-Mensch im allgemeinen wie viele andere Menschen weltweit auch. Insbesondere der Fernsehsport hat es ihm angetan. Und bei größeren Erfolgen in populären Mannschaftssportarten, aber auch in im Weltsport als "wichtig" angesehenen Einzelwettbewerben, ist er automatisch ebenfalls Deutscher Meister, Welt- oder Europameister, Olympiasieger, Wimbledonsieger oder Weltmeister im Kunstturnen geworden. Bei Damenerfolgen ist er dann folglich "...meisterin/...siegerin".
Bei Niederlagen hingegen haben das stets "die anderen" versaut. "Die" haben das vergeigt, "der/die ist ein Totalversager/eine Totalversagerin". Das sind dann eh alles Luschen und das die nichts reißen würden, das hat man ja sowieso schon vorher gewusst. Fernsehsport ist für Deutsch-Menschen jedenfalls echt ´ne feine  Sache.

Und überhaupt - eigentlich schimpft der Deutsch-Mensch ohne Unterlass über "sein" Land: Wetter, Steuern und Abgaben, Preise, Politiker und sonstige Menschen - alles Scheiße hier! Bei sportlichen Mega-Events hingegen beflaggt er eifrig Fenster, Balkon und fahrbaren Untersatz mit unterschiedlich großen Deutschland-Fahnen, schreit in den Stadien oder bei öffentlichen Riesenbildschirm-Übertragungen von Spielen "seiner" Mannschaft lauthals "Deutschland, Deutschland!" (sparsamere Exemplare bevorzugen die Variante "Schland, Schland!") oder singt zu einer äußerst simpel gehaltenen Melodie "Deutschlaaand, Deutschlaaand, Deutschlaaand, Deutschlaaand!".
Doch mittlerweile fordert der Deutsch-Mensch immer selbstbewusster, dass er auch außerhalb sportlicher Großereignisse seinen persönlichen Stolz auf "sein" Land und seine Zugehörigkeit als dessen Staatsbürger offen kundtun kann. Ansonsten motzt er aber munter weiter vor sich hin. Der Deutsch-Mensch liebt und beschimpft "sein" Land folglich gleichzeitig, aha.

Nach außen hin gibt sich der Deutsch-Mensch gern als weltoffen. Insbesondere bei sportlichen Welt-Großereignissen, für die "sein" Land als Ausrichter erwählt wurde, stellt er der Weltöffentlichkeit nur allzu gern diese seine Weltoffenheit weltöffentlich zur Schau. Er präsentiert sich als guter Gastgeber, nimmt Rücksicht auf die unterschiedlichen Mentalitäten, kulturellen und religiösen Besonderheiten seiner Gäste und feiert ausgelassen mit ihnen auf den landesweiten Straßen und Plätzen. Ist das Großereignis dann beendet wird die deutsch-menschliche Weltoffenheit jedoch erst mal wieder geschlossen und auf unbestimmte Zeit unter Verschluss gehalten.

Außerhalb "seiner" Landesgrenzen gilt der Deutsch-Mensch den dortigen Bewohnern schon seit ewigen Zeiten als eher humorloser Zeitgenosse, der zum Lachen extra in den Keller geht. Dieses Vorurteil stimmt aber nun wahrlich nicht. Zumindest in der Humordisziplin "Schadenfreude" verfügt der Deutsch-Mensch über ansehnliche Fähigkeiten. Ist er zufällig dabei, wie jemandem ein Missgeschick unterläuft, findet er das durchaus komisch. Ob nun jemand unfreiwillig stolpert, hin- oder irgendwo reinfällt, etwas verschüttet, sich bekleckert oder ähnliche Alltags-Stunts abliefert - der Deutsch-Mensch sieht´s, genießt´s und lacht sich eins. Je nach Veranlagung still in sich hinein, schmal oder breit grinsend oder ganz unverhohlen, frei, laut und offen aus sich heraus. Passiert dem schadenfrohen Deutsch-Menschen solch ein Missgeschick dummerweise selbst, dann findet er das allerdings gar nicht komisch. Und wenn ein anderer Deutsch-Mensch dieses Malheur mitbekommen hat und sich dazu auch noch erdreistet, darüber zu grinsen oder gar herzhaft zu lachen, dann kann so ein Freizeit-Stuntman ganz schön fuchtig werden. Einzige Ausnahme von dieser Regel: Eine aufgedrehte Frohnatur springt urplötzlich aus dem Gebüsch und brüllt: "Herzlich willkommen bei der `Versteckten Kamera´!" - dann strahlt der davon betroffene Deutsch-Mensch selbst nach dem peinlichsten Missgeschick sofort hell leuchtend über beide Backen.

In seiner ersten Lebenshälfte gibt der Deutsch-Mensch gern damit an, was er alles hat. Und das das alles sowieso viel größer, schöner und besser ist als das der seinem näheren Dunstkreis zuzuzählenden Deutsch-Menschen. Man kennt das z.B. aus der Fernsehwerbung: "Mein Haus, mein Garten, mein Auto, mein Boot!". Bei Garten und Auto muss dem  "größer, schöner und besser" aber unbedingt noch "gepflegter" angefügt werden!
Auch was die Urlaubsziele angeht findet ein munterer Wettstreit statt : "Wir fliegen dieses Jahr auf die Malediven!" "Pah, kenn´ wir schon. Wir werden uns darum mal´n bißchen auf Hawaii umsehen!".
Sehr gern protzen die jungen bis mittelalten Deutsch-Menschen zudem damit rum, was und wieviel sie am Vorabend so alles gesoffen haben.
Mit Beginn der zweiten Lebenshälfte werden beim gegenseitigen sich überbieten dann zunehmend andere Prioritäten gesetzt: Wer hat sich mehr kaputt gearbeitet, wer hat die stärkeren Rücken- und Gelenkschmerzen, wer hat mehr körperliche Beschwerden oder (angebliche) Krankheiten. Und auch die berauschenden Getränke werden jetzt durch andere Genussmittel ersetzt. Stattdessen unterhält man sich nämlich nun vermehrt darüber, wer was für Tabletten und Tropfen einnehmen muss und wieviel davon am Tag.

Der Deutsch-Mensch ist ein Meister der Verstellung. Er redet nach außen hin so und nach innen denkt er dabei eigentlich ganz anders. Er preist unablässig seinen unbändigen Arbeitseifer, tüftelt aber zum Jahresende am Kalender für das neue Jahr unter peinlichst genauer Berücksichtigung der gesetzlichen Feiertage haarklein aus, wie er unter Verwendung möglichst weniger Urlaubstage möglichst viele freie Tage für sich rausschlagen kann (die sog. "Brückentage" eben).
Ebenso verkündet er voller Stolz jedem, der es hören oder auch nicht hören will, wie froh er ist, einen Arbeitsplatz zu haben, noch dazu einen so tollen, wo das arbeiten - auch wegen der Klasse-Kollegen - noch richtig Spaß macht. Abends in den eigenen vier Wänden dagegen klagt er gegenüber seiner Familie, wie ihm dieser Scheißjob immer mehr auf den Sack geht, was für ein Riesenarschloch sein Chef ist und was für Vollposten seine Kollegen sind.
Und geht ein Deutsch-Mensch in den mal mehr, mal weniger verdienten Ruhestand, so hört man ihn nicht selten sagen: "Gott sei Dank, geschafft! Endlich muss ich nicht mehr in diesem Scheißladen buckeln!". Die Jahre zuvor wurde aber auch er nicht müde, seine Arbeitsstelle stets zu rühmen und zu betonen, wie gern er dort jeden Tag hingehen würde.
Dann gibt es noch diejenigen, die allabendlich zuhause im familieninternen Kreis besonders mutig werden und ihrem dämlichen Chef am liebsten mal ordentlich die Fresse polieren würden. Tagsüber aber kommen diese selbsternannten Hobbyboxer aus dem Duckmäusern und ihrem Herrn und Gebieter gegenüber unentwegt Bücklinge machen gar nicht mehr raus: "Überstunden machen, Chef? Heute, Chef? Und unbezahlt, Chef? Aber klar doch, Chef, geht wie immer in Ordnung, Chef!", "Aber sicher doch, Chef, immer wieder gerne, Chef!", "Chef, stellen Sie sich vor...eben hab´ ich gehört, wie der Schulze zum Müller doch tatsächlich gesagt hat, Sie seien wahrhaftig eine echte Niete in Nadelstreifen!". Man kennt das ja zur Genüge.
Und wenn Chefchen sich an einem seiner besonders gönnerhaften Tage dazu herab lässt, der andächtig lauschenden versammelten Belegschaft ein uraltes Witzchen mit bodenlangem Rauschebart zum Besten zu geben, das nun sogar unser Möchtegern-Cheffressenpolierer einfach nur selten blöd und schon gar nicht witzig findet, dann lacht dieser trotzdem nach außen hin pflichtschuldigst und herzhaft, nach innen hingegen eher gequält darüber. Nicht selten lässt er dazu als kriecherische Untermalung ein "Mensch, Chef, der war wirklich absolute Spitzenklasse, den kannte ich noch gar nicht! Huahuahuaaaa!" vernehmen.
Bei deutsch-menschlichen Zeitgenossen wie ihm hier klaffen Anspruch und Wirklichkeit aber nun wirklich mehr als nur meilenweit auseinander...

Der Deutsch-Mensch schimpft offiziell bekanntlich mit Vorliebe über die seiner Auffassung nach "faulen Südländer". Inoffiziell jedoch, in seinem tiefsten und sicher verborgen gehaltenen Inneren, bewundert er sie heimlich und wünscht sich nicht selten, auch er würde über diese, seiner Auffassung nach bestimmt "angeborene", Fähigkeit verfügen, alles auch mal etwas ruhiger und gelassener anzugehen. Einfach mal alle Fünfe gerade sein lassen, leben und leben lassen, nicht alles so verbissen sehen, dem "Komm´ ich heut´ nicht, komm´ ich morgen" frönen...hach. Aber wie gesagt - das nur stets still vor sich hin. Nach außen hin verteufelt er solch eine Lebensauffassung natürlich regelrecht. Nun ja, er ist nun mal ein Deutsch-Mensch und möchte unbedingt auch weiter "dazugehören"...

Der Deutsch-Mensch ist ein großer Meister im beklagen und bejammern sowohl der allgemeinen als auch seiner persönlichen, gar schrecklichen Zu- und Umstände. Allerdings betreibt er diese Tätigkeit bevorzugt im stillen Kämmerlein sowie im kleinen Kreise, umgeben von nur wenigen Personen seines uneingeschränkten Vertrauens. Zeigt mal einer aus diesem Mini-Kreis unerwarteterweise so etwas wie Kampfgeist - und sei es auch nur ein noch so winziges Fünkchen - und schlägt mögliche Aktivitäten vor, wie man evtl. gemeinsam etwas zur Änderung/Verbesserung eben dieser Zu- und Umstände unternehmen könnte, zuckt der Deutsch-Mensch nur gelangweilt mit seinen Schultern und bügelt das mit in sein eigen Fleisch und Blut übergegangenen Standardsätzen wie "Die da oben machen mit uns doch eh, was sie wollen", "Da kannste sowieso nichts machen/dran ändern" und "Da kommste als kleines Licht wie unsereins ja doch nicht gegen an" ab. Auf die Idee, das aus ganz ganz vielen kleinen Lichtern irgendwann ein einziger gewaltiger Scheinwerfer mit enormer Strahlkraft werden könnte, kommt er nun mal nicht. Die Ursache für diese Reaktion kennen wir aber bereits - die unüberwindliche und ganz spezielle Deutsch-Menschen-Angst mal wieder.
Der Deutsch-Mensch wartet bei allem angestauten Unmut lieber in sicherer Deckung weiter ab, was passiert, guckt zu und hofft darauf, dass andere irgendwann einmal vielleicht den Mut haben werden, um den ersten Schritt in Richtung eines öffentlichen lautstarken Protests am "System" zu wagen (das bewährte "Hannemann, geh Du voran"-Verhaltensmuster). Und falls wundersamerweise tatsächlich einmal derartiges geschehen sollte, wartet er vorsichtshalber noch weiter ab und zwar, wie´s ausgeht. Deutsch-Mensch muss ja schließlich ganz sicher gehen, ob die Sache letztlich wirklich Erfolg hat und das er selbst am Ende auf der richtigen, nämlich der Siegerseite und somit bei den "Guten", steht.

Ich weiß nicht, ob es so etwas wie einen allgemeinen "deutschen Volkscharakter" oder eine "deutsche Volksseele" gibt. Sollte es derartiges denn tatsächlich geben, dann dürfte manch Psychoanalytiker wohl seine helle Fach-Freude am undurchschaubar-widersprüchlichen Wesen des Deutsch-Menschen finden.

Soviel zum Allgemeinen und dem Objekt unserer Beobachtungen. In den kommenden Beiträgen wollen wir uns dann nach und nach anschauen, wie sich der "normale" Deutsch-Mensch in verschiedenen Alltagssituationen und bei seinen ganz alltäglichen Verrichtungen "in freier Wildbahn" auf die ihm eigene unnachahmliche Weise verhält. Trotz aller Kritik an seiner allgemeinen "Grundkonstruktion" muss ich aber gestehen, dass ich den Deutsch-Menschen dennoch irgendwie noch immer ein bisschen mag. Ich bin schließlich seit frühester Kindheit stets von dieser besonderen Gattung Mensch umgeben gewesen und geprägt worden. Und auch heute lebe ich ausschließlich von diesem Menschenschlag umzingelt vor mich hin. Wahrscheinlich habe ich gerade deswegen trotz allem noch immer einen Rest an Sympathie für diesen  drolligen Zweibeiner beibehalten. Und zugegebenermaßen ertappe auch ich mich trotz aller Selbstheilungsversuche ja immer noch ab und an höchstselbst dabei, dass ich gerade dabei bin, typisch deutsch-menschlich zu denken oder zu (re)agieren. Immerhin merke ich das inzwischen, wenn´s mir passiert, wenn auch nicht immer rechtzeitig. Das ist immerhin ein erster wichtiger Schritt zur Besserung, oder? So völlig wird man einige Grundzüge des in sich schlummernden Deutsch-Menschen-Naturells also wohl doch nicht los, dafür sitzen die Restbestände davon anscheinend zu tief und zu fest.

Wie wir in der Folge sehen werden lohnt sich die Beobachtung des Deutsch-Menschen in seiner vertrauten Umgebung aber vor allem aus einem ganz besonderen Grund: Sein stetiges Bemühen, so absolut "normal" zu sein, dass es fast schon wieder verrückt ist oder so verrückt zu sein, dass es fast schon wieder "normal" ist - oder umgekehrt - lässt den Deutsch-Menschen immer wieder zum großartigen Komiker mutieren. Dieses komische Naturtalent offenbart er dann allerdings zumeist unfreiwillig. Und so lautet das Fazit dieser Ausführungen: Gäbe es den Deutsch-Menschen nicht, so müsste er glatt erfunden werden. Mein persönlicher Alltag wäre ohne ihn jedenfalls nur noch halb so lustig - mindestens!